Querkarte
Einwände
Das ist alles viel zu theoretisch. Was hat das mit meiner Arbeitswirklichkeit zu tun?
Kategorien der Ungleichheit sind vor allem für diejenigen »abstrakt« und »theoretisch«, die von ihnen wenig betroffen sind. Die Schwarze US-amerikanische Pädagogin und Wissenschaftlerin bell hooks schreibt, sie sei zur Beschäftigung mit Theorie gekommen, weil sie so starken Schmerz verspürte, dass sie nicht weiterleben konnte. Ein anderes Beispiel gibt die weiße Schweizer Künstler_in und Kunstpädagog_in Carla Isler, die ihre Masterarbeit zur Auseinandersetzung mit Machttheorien im schulischen Kunstunterricht verfasste. Sie versuchte, gemeinsam mit Schüler_innen Konzepte z.B. von Judith Butler oder Stuart Hall für eine Auseinandersetzung mit Othering (Ver_Anderung), Transfeindlichkeit oder Heterosexismus zu erschließen und über Collagen anschaulich zu machen. Ihr Interesse daran entstand aus der Erfahrung als queere Person, durch die Beschäftigung mit diesen Konzepten eigene Diskriminierungserfahrungen kontextualisieren und dadurch besser mit ihnen umgehen zu können. Sie sollten ihr zufolge deshalb zur Allgemeinbildung gehören. Dazu möchte sie als Kunstlehrer_in beitragen.
Gleichzeitig ist es für mich aber auch eine Herausforderung, diese Bildungsmaterialien zu verfassen, weil die darin verwendeten Konzepte Menschen mit wenig akademischer Bildung ausschließen können. Das Glossar auf der Website und auch die Aktivitätskarten sind Versuche, sie zugänglicher zu machen. Diskriminierungskritik an der Schnittstelle von Kunst und Bildung kann nur zusammen mit anderen realisiert werden. Es ist unverzichtbar, dass wir uns dabei über die jeweils leitenden Begriffe und Konzepte verständigen und auch streiten. Wir brauchen eine theoriegesättigte Erfahrung und eine erfahrungsgesättigte Theorie. Eine Praxis, die sich an den Konzepten aus der Theorie messen lassen will, und eine Theorie, die sich durch die Praxis herausfordern lässt.
Unter welchen Umständen denkt Ihr gern über Begriffe und Konzepte nach? Habt Ihr schon mal erlebt, dass eine Beschäftigung mit Theorie für Euch wichtig wurde?