Eine Kunstlehrer_in unterrichtet in einer elften Klasse Drucktechniken. Auf der Suche nach Inspiration blättert sie in einem Reiseführer für Namibia. Sie fertigt eine Umrisszeichnung von einer hockenden Frau und Kopien davon an. Sie stellt die Aufgabe, die Figur zuerst monochrom schwarz auszumalen und dann mit Kartoffeldruck Stoffmuster auf sie zu drucken. Als Orientierung stellt sie Bilder von Stoffen zur Verfügung, welche sie als »afrikanisch« bezeichnet. Einige der Schüler_innen beschweren sich über die Aufgabe, denn sie haben im Geschichts- und Geografieunterricht einiges über Namibia und deutschen Kolonialismus gelernt. Sie halten der Lehrperson unter anderem entgegen, dass viele Stoffe, die im Westen als »afrikanisch« gelten, im Zuge des Kolonialismus und und des transatlantischen Versklavungshandels entstanden sind; dass die Lebenswirklichkeiten in afrikanischen Ländern genauso divers und komplex wie in europäischen Ländern seien und dass die Darstellung der Frau stereotyp und exotisierend sei; dass es zusätzlich rassistisch sei, sie monochrom schwarz anzumalen, weil Schwarz eine politische Selbstbezeichnung und keine Hautfarbe sei, jeder Mensch dagegen komplexe, aus vielen Farbtönen zusammengesetzte Hautpigmentierungen hätte. Man würde ja Darstellungen von weißen Leuten auch nicht monochrom kreideweiß ausmalen. Die Lehrperson reagiert verständnislos und verteidigt sich: »Man wird doch noch fremde Kulturen wertschätzen dürfen!« und »In Afrika leben die Menschen eben so, da ist doch nichts Schlimmes dran!« und »Stereotype sind notwendig, um sich in der Welt zurechtzufinden!« und schließlich »Es geht hier um Drucktechniken und um nichts anderes, also Schluss jetzt mit dieser Diskussion!«

Das Argument, Wertschätzung müsse doch erlaubt sein, wird auch gegenüber der Forderung geäußert, mit dem in Deutschland weitverbreiteten »Winnetoukult« aufzuhören: Karl Mays Abenteuergeschichten gehörten eben zum deutschen kulturellen Erbe, und es sei doch nichts dabei, »Cowboy und Indianer« zu spielen. Kaum ein Ferienangebot kommt ohne »Indianerzelte«, kein Faschingsfest ohne entsprechende Kostüme, kaum ein Spielplatz ohne entsprechende »Pfähle« aus. Diese stereotypen Darstellungen sind leider nicht wertschätzend, sondern eine Fortsetzung kolonialer Ausbeutung, auch wenn es sich um Kinderspiele handelt oder vermeintlich Wertschätzung dahintersteckt. Denn sie existieren nur, weil es ein Herrschaftsverhältnis zwischen Kolonisator_innen und Kolonisierten und eine daraus resultierende Wissensordnung gibt. Sie sind vom kolonialen Blickverhältnis geprägt – weiß positionierte Menschen werfen einen verklärt-romantisierenden, vereinheitlichenden und vergegenständlichenden Blick auf die von ihnen Unterworfenen. Dieser weiße Blick macht die Mitglieder existierender Gesellschaften und sozialer Gruppen zu geschichtslosen Objekten. Menschen mit Rassismuserfahrung werden von diesen Darstellungen retraumatisiert. Ich möchte als Ausgangspunkt für eine Diskussion zu diesem Thema den Film Forget Winnetou! Loving in the Wrong Way von Red Haircrow aus dem Jahr 2018 empfehlen. Red Haircrow ist Filmemacher, Schriftsteller, Pädagoge und Psychologe von Chiricahua-Apache, Cherokee und afroamerikanischer Herkunft, der in Berlin lebt. Der Film veranschaulicht einprägsam die Geschichte von Rassismus, Kolonialismus und kultureller Aneignung am Beispiel der vermeintlichen Liebe der Deutschen zu den Native Americans. Auch eine Beschäftigung mit der Initiative Ich bin kein Kostüm des Vereins Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. lohnt sich.

Wie könnt Ihr mit Eurer Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Bildung zu einer Sensibilisierung für kulturelle Aneignung und zur Stärkung des Rechts auf selbstbestimmte Repräsentationen beitragen?

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