Es gilt nicht als Teil von Allgemeinbildung, sich intersektional verorten zu können. Es wird in der diskriminierungskritischen Lernsituation gerade beim ersten Mal oft als Übergriff ins Private und als Überforderung erlebt. Aber was ist »privat«, wenn Diskriminierung entlang von sichtbaren Merkmalen stattfindet, oder wenn z.B. Klassismus untergründig wirkt? In der Arbeit mit der Power Flower beobachte ich, dass Menschen mit intersektionaler Diskriminierungserfahrung sich tendenziell genauer verorten. Dies, obwohl es für sie keineswegs emotional leichter und es ebenfalls mit Widerständen verbunden ist – zum Beispiel mit Widerstand gegen Selbst-Viktimisierung. Aber für sie sind die Kategorien sozialer Ungleichheit täglich gelebte Realität. Den Umgang mit den Begrifflichkeiten der Intersektionalität zu lernen, hat für sie daher Ermächtigungspotential – vorausgesetzt, der Lernraum ist vertrauenswürdig genug. Für Menschen mit wenig Diskriminierungserfahrung bedeutet die Verortung dagegen zunächst einmal, sich aus der Wohlfühlzone heraus zu begeben.

Für alle Lernenden aber ist es herausfordernd, die richtigen Worte für die Selbstpositionierung zu finden. Worte schreiben fest, sind mit Schmerz verbunden – und gleichzeitig sind sie befreiend und politisch wichtig, weil sie Gewalterfahrungen, Standpunkte des Wissens und auch Unterstützung benennbar machen. Selbstpositionierungen können sich mit der Zeit verändern, neue Worte können entstehen. Hier ist zum Beispiel mein aktueller Versuch, Stand Frühling 2021:

»Hallo, mein Name ist Carmen. Ich bin eine weiß gelesene, queere Teilzeit-Frau aus einer stark fragmentierten Patchworkfamilie mit wenig Geld, aber mit künstlerischem Ehrgeiz. Ich bin fett und leicht gehbe_hindert. Ich habe Erfahrungen mit Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus, Lookismus und Klassismus. Ich verfüge über eine Lebenszeitverbeamtung als Professorin für Kunstpädagogik an einer deutschen Kunsthochschule. Ich bin dadurch materiell sehr gut abgesichert und beruflich privilegiert. Ich habe viel Förderung durch weiße feministische Akademikerinnen erhalten. Mein Pronomen ist sie/ihr.«

Welche Empfindungen und Gedanken begleiten Euch bei der Lektüre meiner Selbstverortung? Wie könnt Ihr Euch selbst verorten und dabei bestimmen, was Ihr von Euch preisgeben möchtet und gleichzeitig nicht durch Euer Schweigen, das Euch schützen soll, Dominanzverhältnisse bestätigen?

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