Der achtsame Umgang mit Worten, das Erkennen und Unterbrechen hegemonialer Zuschreibungen und gewaltvollen Sprechens sind Bestandteile diskriminierungskritischer Veränderungsarbeit in und an der Sprache. Dabei ist wiederum notwendig, Komplexität und Mehrdeutigkeit wahrzunehmen; zum Beispiel, die jeweiligen Sprecher_innenpositionen mit zu reflektieren. Ein Beispiel zur Konkretisierung: Im pädagogischen Bereich geht die Aufmerksamkeit der Lehrenden meiner Erfahrung nach fast schon reflexartig weg von diskriminierenden Aspekten des eigenen Sprechens, hin zu den Lernenden und deren vermeintlichen sprachlichen Fehlverhalten, beispielsweise in der Jugendsprache. Es ist nicht das gleiche, ob Worte wie »Bitch« oder »Digga« von Jugendlichen untereinander oder als Selbstbezeichnung verwendet werden, oder ob eine erwachsene weiße Person auf ihre Redefreiheit pocht, wenn sie darauf besteht, das N-Wort zu verwenden. Das bedeutet gleichzeitig nicht, dass Jugendliche sich durch Beleidigungen nicht auch gegenseitig verletzen können. Aber auch soziale Klasse spielt eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung von diskriminierendem Sprachhandeln: Ein junger Mensch aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt verkneift sich vielleicht Kraftausdrücke und fällt deswegen den Lehrenden weniger unangenehm auf, aber kennt möglicherweise andere Weisen, durch Sprache Macht auszuüben oder abzuwerten. Die diskriminierungskritische Perspektive lädt dazu ein, zuerst die Machteffekte des jeweils eigenen Sprechens und Vokabulars vor dem Hintergrund einer intersektionalen Selbstverortung zu bedenken.

Ein Projekt, in dem Autor_innen mit Schulklassen zusammen literarisch schreiben, wurde im Jahr 2012 in zwei verschiedenen Internetauftritten präsentiert: auf der Projektseite, welche die Künstler_innen, die das Projekt erfunden haben, betreiben und auf der Website einer Stiftung, die das Projekt finanziert. Auf der Website der Stiftung stand, Jugendliche aus einem »bildungsfernem« Umfeld, »lernschwache« und »sprachlich gehemmte« Schülerinnen würden durch das Schreiben in einem Bereich tätig werden, der für sie von »Niederlagen« und »Versagensängsten« geprägt sei. Durch das Erfolgserlebnis, gemeinsam Geschichten zu schreiben, würde ihr Selbstvertrauen gestärkt. Diese Beschreibung ist von einem Herrschaftsverhältnis geprägt: die Schreibenden stellen die Jugendlichen allesamt und auf die gleiche Weise als defizitär und hilfsbedürftig dar. Dies kann als hegemoniale Zuschreibung bezeichnet werden, oder auch als »Andern« der Schüler_innen. Die Jugendlichen selbst kommen nicht zu Wort. Als Rechtfertigung für solche Darstellungen dient häufig das Argument, die Finanzierung eines Projektes müsse mit einer solchen Beschreibung der Empfänger_innen begründet werden und der Sinn des Vorhabens würde so der Öffentlichkeit verständlich gemacht. Die Website der Projektmacher_innen hob demgegenüber die literarische Qualität und das besondere Wissen der jugendlichen Schreiber_innen hervor, sowie die Freude und die Lernzuwächse auf Seiten der Autor_innen bei der Zusammenarbeit mit den Schüler_innen. Zudem gab es auf der Website verschiedene Bereiche, für das Publikum, für Lehrpersonen und für die Schüler_innen selbst, welche jeweils unterschiedliche Register für die Ansprache verwendeten. Erschien das Projekt in dieser Darstellung tatsächlich weniger förderungswürdig oder weniger verständlich für die »Öffentlichkeit«? Ich wage das zu bezweifeln. Auf jeden Fall lernten Leser_innen, je nach dem auf welcher Website sie landeten, ein völlig anderes Projekt kennen und bekamen ein völlig anderes Bild von den Beteiligten. Das Beispiel zeigt, dass Sprache Wirklichkeit macht; in ihr artikulieren sich Strukturen und sie bringt ihrerseits Strukturen hervor. Deswegen ist es wichtig, mit der Zeit ein eigenes, diskriminierungskritisch informiertes Vokabular zu finden, um die eigene Tätigkeit an der Schnittstelle von Kunst und Bildung auf eine Weise zu beschreiben, die Herrschaftsverhältnisse nicht wiederholt. Dabei ist Fehlerfreundlichkeit genauso wichtig wie Genauigkeit. Vielstimmigkeit, der Einbezug von Perspektiven von Beteiligten mit unterschiedlichen Sprecher_innenpositionen, kann ebenfalls dabei unterstützen, nicht nur eine einzige Geschichte über ein Projekt zu kennen und zu erzählen.

Anregungen für die Recherche

Drei Begriffe für ein Vokabular, das hilft, Strukturen zu hinterfragen: Minorisiertes Wissen/ Leerstellen/ diskriminierungssensible Räume.

  • Wisst Ihr, was sie bedeuten? Wenn nicht, schlagt im Glossar nach.
  • Sammelt weitere Begriffe, die für das Benennen, Befragen und Verändern von Strukturen nützlich erscheinen. Welche Worte erlebt Ihr als befreiend? Welche als ermächtigend? Welche lösen Unbehagen aus? Warum ist das so?
  • Wie beschreibt Ihr Euch selbst im Rahmen Eurer Tätigkeit an der Schnittstelle von Kunst und Bildung, und wie werdet Ihr von anderen beschrieben? Wie beschreibt ihr andere Akteur_innen an dieser Schnittstelle? Was könnten diskriminierungskritisch informierte Beschreibungen von Euch selbst und anderen sein?
  • Besorgt Euch das Nachschlagewerk Wie Rassismus aus Wörtern spricht. Wenn Ihr es Euch nicht leisten könnt, leiht es in einer Bibliothek aus. Findet darin drei Begriffe, die Ihr bislang selbstverständlich benutzt habt und lest die Einträge. Erinnert Ihr Euch an Situationen, wo Ihr die Begriffe verwendet habt? In welcher Rolle wart Ihr? Welche anderen Begriffe wären in Frage gekommen? Registriert Eure Emotionen, die sich bei diesen Überlegungen einstellen: Wo sind die Widerstände? Wo sind Entlastungen? Kommt auch Freude auf bei der Vorstellung, Euer Vokabular diskriminierungskritisch zu erweitern und zu verändern?
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