Warum ist die überwiegende Mehrheit der an der Schnittstelle Kunst und Bildung Arbeitenden weiß und cis-weiblich? Diese Personalstruktur hat sich über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg etabliert. Es handelt sich um einen Bereich, in dem sich weiße, bürgerliche Cis-Frauen Handlungsräume und Sichtbarkeit erkämpfen konnten. Ab dem 19. Jahrhundert gelang ihnen das mit dem Argument, bestimmte Charaktereigenschaften wie Feinfühligkeit, Fürsorglichkeit oder Tugendhaftigkeit und Tätigkeiten wie soziale und hygienische Kontrolle oder Erziehung zu bürgerlichen moralischen Werten seien typisch weiblich. Demzufolge leisteten diese Frauen einen unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt der Gesellschaft und mussten zu entsprechenden Berufen und Ausbildungen zugelassen sein. Sie wurden z.B. als Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern oder Lehrerinnen und auch als Kunstpädagoginnen tätig. Diese Logik der »geschlechtlichen Arbeitsteilung« verhinderte eine Solidarisierung dieser Frauen, z.B. mit von Klassismus, Rassismus oder Be_Hinderung betroffenen Menschen. Denn das waren ja diejenigen, die von ihnen gerettet und erzogen, verbessert und zivilisiert werden sollten und waren ihnen daher hierarchisch untergeordnet. Die historischen Kontinuitäten von dieser Dynamik an der Schnittstelle von Kunst und Bildung sind vielfältig. Die Tätigkeiten sind feminisiert: Sie werden häufig schlecht bezahlt, respektive in prekären Verhältnissen geleistet, sind innerhalb von Institutionen mit wenig struktureller Entscheidungs- und Handlungsmacht ausgestattet und sind gegenüber der künstlerischen Produktion symbolisch abgewertet. Deswegen fühlen sich viele Arbeiter_innen an dieser Schnittstelle alles andere als privilegiert, was es ihnen mitunter zusätzlich erschwert, die Macht und die Vorteile, die trotz alledem mit ihrer sozialen Positionierung verbunden sind, anzuerkennen. Gleichzeitig fußt diese Arbeit auch heute noch auf der Behauptung von der Hilfs- und Erziehungsbedürftigkeit von ge-anderten Menschen. So zeigt eine Analyse der Katholischen Hochschule NRW, dass Antragstexte für Projekte Kultureller Bildung mit Geflüchteten aus dem Jahr 2019 mehrheitlich paternalistisch und rassistisch verfasst wurden. Ähnliche Kritiken werden bezogen auf kulturelle Bildung im Kontext Flucht und Migration schon seit einigen Jahren geäußert.

Doch es gibt auch mehr und mehr wirksame Unterbrechungen dieser Verhältnisse; namentlich solche, in denen die anvisierten Gruppen selbst Bedingungen für die Zusammenarbeit formulieren. Dazu gehört zum Beispiel das Manifest von RISE, einer australischen Selbstorganisation von Geflüchteten, mit Regeln für die Zusammenarbeit mit Künstler_innen. Es liegt inzwischen auch auf Deutsch vor. Ein anderes Beispiel ist die *foundationClass an der weissensee Kunsthochschule Berlin, in der sich geflüchtete Kunstschaffende auf die Aufnahmeprüfung an Kunsthochschulen vorbereiten und gleichzeitig ihre Situation in der rassistisch verfassten deutschen Gesellschaft gemeinsam reflektieren, sowie in Performances und Ausstellungen thematisieren. Die Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und Kunst kann Räume schaffen, die nicht (nur) repressiv sind, sondern kollektive Selbstartikulationen, Selbstermächtigung, Solidarisierung und die Unterbrechung von Gewaltverhältnissen ermöglichen – mit allen Schwierigkeiten und Konflikten, die damit einhergehen. Wenn dies durch eine wachsende Zahl von Beispielen deutlich wird, sind vielleicht in Zukunft mehr von intersektionaler Diskriminierung betroffene Personen ermutigt, ein Studium und eine Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Bildung zu beginnen, weil sie dabei nicht mehr die Erfahrung doppelter Abwertung (einerseits durch die Feminisierung des Bereichs, andererseits, weil sie darin diskriminiert werden) erleben. Damit und mit konsequenter intersektionaler Gleichstellungspolitik bei Stellenbesetzungen, ließe sich die historisch gewachsene Personalstruktur an der Schnittstelle von Kunst und Bildung verändern. Diskriminierungskritische Informiertheit ist dafür die Grundlage.

Anregungen für die Recherche

Findet Beispiele für Projekte an der Schnittstelle von Bildung und Kunst im Kontext Flucht und Migration, die folgende Kriterien erfüllen:

  1. »Nothing about us without us«: In den Projekten kontrollieren die Teilnehmer_innen die Inhalte, Formen, Ressourcen und Repräsentationen.
  2. Beteiligte Mehrheitsangehörige und Institutionen solidarisieren sich öffentlich mit den Anliegen der Teilnehmer_innen, z.B. für ein Aufenthaltsrecht und Zugang zu Arbeit und Bildung.
  3. Zeit und Raum für eine kritische Reflexion und Bearbeitung der jedes Projekt durchziehenden Machtverhältnisse hat Priorität.
  4. Findet das Projekt in einer Kulturinstitution statt, so trägt es dazu bei, dass sich Diversifizierung von Strukturen ereignet, zum Beispiel in der Personalzusammensetzung, der Programmgestaltung oder den Curricula – nicht nur im Werbematerial.
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