Methoden an der Schnittstelle von Kunst und Bildung sind von historisch gewachsenen Wertehierarchien durchdrungen. Ein Beispiel ist die Abwertung bestimmter Verfahren als »Handarbeit«, »Kopieren«, »Kunsthandwerk« oder »Basteln« und »Kitsch« gegenüber dem vermeintlich »eigenen Ausdruck«, der vermeintlich freien Kunst oder gegenüber Verfahren wie zum Beispiel dem akademischen Aktzeichnen. Ich schreibe »vermeintlich«: Keine Hervorbringung, kein Ausdruck ist ganz und gar »eigen«, denn es findet immer im Austausch, ein Aufbau auf Vorhandenem und ein Arbeiten unter Bedingungen statt. Was in einer bestimmten Zeit als »Kunst« gilt und was nicht, ist ein Aushandlungsprozess, an dem sogenannte Definitionsgemeinschaften von gesellschaftlich autorisierten Expert_innen, z.B. Kritiker_innen, Sammler_innen, Kurator_innen usw. beteiligt sind. In diesem Prozess sind intersektionale Machtverhältnisse am Werk, genauso wie er auch kontingent ist. Und Kunst wird immer angewandt – zum Beispiel als Objekt im Kunsthandel, um sich durch Kunstkenntnis sozial abzuheben, als repräsentative Ausstattung von Innen- und Außenräumen sowie Bauten, zur nationalen Repräsentation oder für Bildung und Aktivismus. Die genannten Wertehierarchien sind Konstruktionen, die im Zuge von Kolonialismus und Kapitalismus entstanden sind. Sie dien(t)en dazu, eine weiß, männlich und bürgerlich geprägte Kunst als allgemeingültig und als höchsten Wert zu behaupten. Bis heute wirken sie an der Schnittstelle von Kunst und Bildung; sie bestimmen, wer sich von den Künsten angesprochen fühlt und wer findet, nicht begabt zu sein oder kein Interesse zu haben. Es ist deswegen in einer diskriminierungskritischen Perspektive notwendig, als an der Schnittstelle von Kunst und Bildung Lehrende die eigenen Bewertungskriterien kritisch zu reflektieren: warum wird es von vielen Kunstpädagog_innen beispielsweise nicht als »eigener Ausdruck« gewertet, wenn Jugendliche Comics zeichnen, egal wie engagiert und intensiv sie es betreiben? Warum werden möglicherweise Bildwerke von Jugendlichen, die Anmutungen an den europäischen Expressionismus, Impressionismus oder andere Richtungen der Avantgarde der vorletzten Jahrhundertwende zulassen, dagegen als ausdrucksstark beurteilt?

Eine Möglichkeit, die beschriebenen Wertehierarchien methodisch zu unterbrechen wäre, mit minorisierten Verfahren und Wissen zu arbeiten und dabei auch ihre Abwertungsgeschichte zu thematisieren. Dafür gibt es viele gegenwärtige und historische Anknüpfungspunkte aus Kunstproduktion und Bildungsarbeit. Ein Beispiel sind die queeren Aktzeichenkurse von Sabian Baumann, bei denen die gewohnte Situation mit Elementen aus Drag-Performances, mit Reflexionen über Verletzlichkeit und Körpernormen durchquert wird. Sie knüpfen an die Geschichte des akademischen Aktsaals als umkämpften Ort an: als Hauptargument für den Ausschluss von Frauen aus dem Kunststudium wurde im 18. und 19. Jahrhundert angeführt, dass ihre Anwesenheit beim Aktzeichnen unschicklich wäre. Ein weiteres Beispiel ist das »radical crafting«, bei dem textilkünstlerische und andere als Handarbeit oder Kunsthandwerk abgewertete Verfahren für künstlerisch-aktivistische Interventionen im öffentlichen Raum eingesetzt werden. Oder das Herstellen von sogenannten Zines, selbstgemachten und selbstvertriebenen Zeitschriften zu einem Thema. Beide Verfahren haben ebenfalls Wurzeln in historischen kollektiven Widerstandspraktiken.

 

Anregungen für die Recherche
  • Reflektiert zunächst kritisch Eure eigenen methodischen Vorlieben an der Schnittstelle von Bildung und Kunst: Reproduzieren sich darin mitunter historisch gewachsene Wertehierarchien? Versucht dafür eine Aufmerksamkeit zu entwickeln.
  • Plant ein Projekt, das bewusst abgewertete Verfahren, wie z.B. Kopieren, Auswendiglernen, Nachmachen, Abschreiben, Basteln, Handarbeiten einsetzt und deren subversives Potential auslotet. Recherchiert dabei auch Beispiele aus Kunst und Bildung, die das tun und fügt sie Eurem Pool hinzu.
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