Wenn Du in einer Lage bist, die Dich mit dem jeweils nötigen Geld, der nötigen Infrastruktur, Öffentlichkeit, Netzwerken, Entscheidungsmacht und dem Zugriff auf das nötige Wissen und Können ausstattet, dann kannst Du über alles forschen, lehren, schreiben, Kunst machen, was Du willst. Es gibt glücklicherweise kein Gesetz, das Dir das verbietet.

In einer diskriminierungskritischen Perspektive stellt sich jedoch mitunter die Frage, ob es eine gute Idee ist, alles was eine_r in ihrer_seiner Gesellschaft machen will, kann und darf, auch zu tun – immer dann, wenn dieses Tun zum Erhalt intersektionaler Dominanzverhältnisse beiträgt. Als Beispiel für das was ich meine, möchte ich den Wissenschaftsbetrieb anführen. Aufgrund meiner eigenen Arbeit als weiße Professorin an einer Hochschule ist er für mich ein besonders auffälliges und schmerzliches Beispiel. Wie viele Schwarze Kunstpädagogikprofessor_innen gibt es in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz? Wie viele Schwarze Professor_innen der Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte, der Film-, Musik-, Theaterwissenschaft? Welche Filmprofessur ist mit einer BIPoC besetzt, da es doch ein reges entsprechendes Filmschaffen in Deutschland gibt? Warum besteht für hochqualifizierte BIPoC Kandidat_innen offenbar die Erwartung, dass sie sich, wenn überhaupt, dann auf Professuren bewerben, in denen es nicht um ihre Expertise, sondern um »Diversity« geht? Warum gibt es in unserer Region bislang keine universitären Bereiche, in denen Schwarze (deutsche) Geschichte, Theorie-, Wissens- und Kulturproduktion von Schwarzen Kolleg_innen rekonstruiert, analysiert, dokumentiert und gelehrt werden, wie in den international vorhandenen Black Studies? Tatsächlich kommen die wenigen Schwarzen Wissenschaftler_innen, die dazu forschen, schreiben und lehren, zumeist aus Nordamerika. Umgekehrt gehen viele Schwarze deutsche Wissens- und Kulturproduzent_innen in die USA und andere anglophone Länder, weil sie dort viel bessere berufliche Chancen haben.

Eine damit verbundene Frage ist, aus welchen Perspektiven, aus welchen Erfahrungshintergründen, mit welchem Wissen jeweils geforscht, gelehrt, geschrieben und Kunst gemacht wird und welches Wissen als vermeintlich objektiv und wertig gilt. Warum sind zum Beispiel die meisten Professor_innen, die in Deutschland zu Migration forschen, weiß und Angehörige der deutschen Mehrheit? Auf diese Weise wird immer weiter ein »Wissen über« produziert, das als vermeintlich objektiv gilt. Kandidat_innen mit eigener oder familiärer Migrationserfahrung wird demgegenüber unterstellt, sie könnten nicht über Migration forschen, weil sie davon betroffen seien. Die enorm wirksame Neutralsetzung von weißen, cis-männlichenbürgerlichen und heterosexuellen Perspektiven in der Wissensproduktion wird schon seit vielen Jahrzehnten kritisiert, von der feministischen, queeren und dekolonialen Wissenschaftskritik. Die Kritik verweist darauf, dass jedes Wissen sozial situiert ist und es daher keine Objektivität gibt, dass es also zur Wissenschaftlichkeit gehört, die eigene soziale Position und die daraus resultierenden Erkenntnisinteressen zu reflektieren. Seit Beginn der 2000er Jahre erstarkt zudem die Bewegung Schwarzer deutscher Wissens- und Kulturproduzent_innen, die sich für eine Etablierung von Black Studies in Deutschland einsetzt. Wenn ein_e als weiße Kolleg_in aktiv darauf verzichtet, ihr eigenes Forschungsprofil über Schwarze Geschichte oder Migration zu definieren und ihre Privilegien nutzt, um sich konsequent für die Berufung von BIPoC Kolleg_innen einzusetzen, dann handelt sie diskriminierungskritisch. Das wäre eine diskriminierungskritische Entwicklung zu einem neuen »Machen, was ich will«.

Wie sieht Dein diskriminierungskritisches Machen-was-Du-willst aus, von Deiner eigenen intersektionalen Positionierung und Deinem eigenen Wirkungsfeld aus gedacht?

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