Selbstbezeichnungen und Veränderungen in der Sprache beginnen in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts allmählich, sich zu verbreiten. Anzeichen dafür sind z. B. die Aufnahme der Bezeichnung »divers« in das deutsche Personenstandsgesetz 2018; ein Eintrag zu geschlechtergerechter Sprache im Duden 2020 oder das Aussprechen des Unterstrichs/Sterns, durch ein minimales Innehalten im Wortfluss in manchen öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen. Auch die wachsende Verwendung von »People of Color« oder »BIPoC« in öffentlicher Berichterstattung und Alltagssprache gehört dazu. Andere geforderte Neuerungen, wie z.B. der Unterstrich beim Schreiben und Sprechen von Be_hinderung, sind dagegen noch kaum präsent. Doch schon angesichts der wenigen wahrzunehmenden Veränderungen explodiert die Kritik an den Selbstbezeichnungen, Sprachpraktiken und auch an Räumen, in denen versucht wird, mit intersektionaler Diskriminierung bewusst umzugehen. Neben dem Beharren auf bestehenden grammatikalischen Regelungen und sprachlicher Einheitlichkeit ist einer der häufigsten Einwände, sie wären Ausdruck von »Identitätspolitik« und würden die Gesellschaft spalten. Sie stünden den universalen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit entgegen und lenkten von materieller Ungleichheit als wichtigster Ursache von Diskriminierung ab.

Das Paradox, das entsteht, wenn sich eine_r im Denken, in der Selbstpositionierung, im z.B. pädagogischen und politischen Handeln auf intersektionale Kategorien der Ungleichheit beruft – nämlich, dass sie dadurch gleichzeitig wieder hergestellt werden –, wird an verschiedenen Stellen in den hier vorliegenden Bildungsmaterialien problematisiert. Dies ist jeweils mit einem Plädoyer verbunden, die Komplexität und Vieldeutigkeit von gesellschaftlichen Verhältnissen und von Personen in jeder Situation im Blick zu behalten. Es geht darum, Kategorien nicht festschreibend, sondern machtkritisch zu verwenden. »Machtkritisch« bedeutet, sich auch ihrer eigenen machtvollen Effekte und der Gefahrenpotentiale von Missbrauch und von argumentativen Verkürzungen bewusst zu sein.

Bei der Kritik, die Gesellschaft würde gespalten, fällt mir demgegenüber auf, dass sich die Kritiker_innen vor allem gegen Begriffe, soziale Räume und Praktiken zu richten scheinen, die von durch intersektionale Diskriminierung betroffene Menschen in politischen Bewegungen selbst erkämpft worden sind und werden. So werden diejenigen, welche von Diskriminierung betroffen sind, als Verursacher_innen von Diskriminierung gebrandmarkt. Zum Vergleich: Auch Begriffe wie »Ausländer«, »Migrationshintergrund«, »Bildungsferne«, »Blinde«, »Behinderte« sind symptomatisch für soziale Spaltungen in der Gesellschaft. Da es sich aber um dominanzgesellschaftliche Zuschreibungen handelt, stoßen sie nicht auf die Empörung derjenigen, die von diesen Spaltungen vor allem profitieren. Die selbstbestimmten Benennungen und Praktiken stellen demgegenüber deren Anspruch auf Allgemeingültigkeit und damit auch ihre Macht in Frage.

Die Kritik blendet zudem aus, dass sich die Existenzen, die sich mit Bezeichnungen wie »Schwarz«, »of Color«, »Queer«, »trans*«, »be_hindert« etc. selbst repräsentieren, vielgestaltig und plural positioniert sind. Diese Vielgestaltigkeit und Pluralität artikuliert sich zum Beispiel in unterschiedlichen Lebensstilen, wobei Klasse intersektional wirksam ist, aber nicht die einzige Achse von Ungleichheit darstellt. Sie äußert sich auch in unterschiedlichen Kunst- und Literaturproduktionen, intellektueller und anderer Arbeit, kontroversen politischen Haltungen und transversalen politischen Bündnissen. All diese Artikulationen werden in der Kritik an »Identitätspolitik« nicht mitgedacht, da die Kritiker_innen sie zumeist gar nicht kennen oder auch nur ihre Existenz zur Kenntnis nehmen.

Wie könnt Ihr diskriminierungskritische Sprach- und Handlungsräume schaffen, die diese Vielgestaltigkeit und Pluralität zum Ausgangspunkt nehmen und für sie aufmerksam bleiben?

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