Zeit spielt eine kaum zu überschätzende Rolle bei der diskriminierungskritischen Veränderungsarbeit und ist gleichzeitig Bestandteil der Technik zum Erhalt bestehender Herrschaftsverhältnisse. Für jede Situation, in der sich Diskriminierungen ereignen, brauche ich Zeit für die Sorge darum: für die Wahrnehmung, die Analyse, die Gespräche und Konsultationen, die Reflexion, die Handlungsentscheidungen, wiederum die Kommunikation dieser Entscheidungen und so weiter. Wenn ich dafür keine Zeit einplane, wiederholen sich auf die eine oder andere Weise Dominanzverhältnisse. Es kommt zu Krisen, deren Bewältigung ihrerseits Zeit bräuchten. Das Argument, es sei gerade leider keine Zeit für diese Krisen vorhanden, ist an der Schnittstelle Kunst/Bildung dann schnell zur Hand, um diskriminierungskritische Veränderungsarbeit zu umgehen: weiter im Text, the show must go on! Die nächste Projektpräsentation, die nächste Vernissage oder Premiere, das nächste Erscheinungsdatum sind die Richtgrößen, an denen sich diese Arbeit in ihrer Zeitlichkeit zu orientieren hat – oder sie findet eben nicht statt. In Anschlag gebrachte Zeitknappheit führt dazu, dass sich Diskriminierungen ständig reproduzieren, in den vielen kleinen Entscheidungen und Kommunikationen, die in der Summe den Arbeitsalltag gestalten. Z.B. indem in einer künstlerischen Produktion mit den gewohnten Leuten zusammengearbeitet wird, weil für die Suche nach minorisierten Kolleg_innen vermeintlich keine Zeit ist.

Die diskriminierungskritische Perspektive, wird sie ernstgenommen, verlangsamt demgegenüber alle Dimensionen der Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und Kunst: die Planung und Recherche, die Produktion, die Dokumentation. Insofern lässt sie sich sehr gut mit aktuellen Konzepten von degrowth und Nachhaltigkeit verbinden: einer intersektional-machtkritisch perspektivierten Veränderung in Richtung einer Wirtschaftsweise, die Lebensgrundlagen erhält. Doch wie kann in den Künsten und der Kulturpolitik, mit weiß, bürgerlich und patriarchal perspektivierten und daher mit auf Überproduktion und Selbstausbeutung beruhenden Qualitätsvorstellungen dieses Umdenken stattfinden? Diskriminierungskritik wie Nachhaltigkeit finden sich gegenwärtig oft als künstlerischer Inhalt im Kulturprogramm, meist ohne Auswirkungen auf die institutionelle Praxis. Der Vorschlag dieses Bildungsmaterials an Kultureinrichtungen wäre: macht nur noch die Hälfte der Produktionen, aber handelt dabei konsequent diskriminierungskritisch und ökologisch. Tut Euch zusammen und überzeugt Eure Fördergeber_innen davon, dass dies die einzige Möglichkeit ist, strukturelle Veränderungen zu bewirken. Aufgrund von Diskriminierung ausgeschlossene Menschen haben keine Zeit länger darauf zu warten, dass Ihr Euch dafür endlich die Zeit nehmt.

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