Ein Paradox diskriminierungskritischer Bildungs- und Veränderungsarbeit besteht in der ihr innewohnenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Vertreter_innen des Afropessimismus wie zum Beispiel Alexander Weheliye oder Calvin Warren machen darauf aufmerksam, dass das Leitmotiv der Hoffnung, welches z.B. humanistisch geprägte Bürger_innenrechtsbewegungen bestimmt, dazu beitragen kann, die Verhältnisse im Hier und Jetzt nicht zu verändern. Gerechtigkeit, das Ende der Gewalt würden in eine bessere Zukunft aufgeschoben, träfen aber niemals ein.

Personen mit vielen Privilegien werden durch den Appell, Fortschritt und Verbesserung herbeizuführen, gestärkt – sie füllen dadurch weiterhin den Raum aus. Sie nehmen eine held_innenhafte Rolle als vermeintliche Retter_innen (zum Beispiel im Sinne des White Saviourism) ein, die Dinge und Handlungen ermöglichen, Rechte und Ressourcen verteilen, Stimme geben. Der deutsche Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril spricht in diesem Zusammenhang vom Paradox der Anerkennung: In jedem Akt der Anerkennung – z.B. der Anerkennung der Tatsache, dass jemand Diskriminierung erfährt und das ungerecht und bekämpfenswürdig ist, oder dass es ein Recht auf Abweichung von der Norm gibt, das zu verteidigen wäre – steckt die Machtposition, zu identifizieren und Anerkennung geben zu können.

Als diskriminierungskritisch informierte Arbeiterin an der Schnittstelle von Bildung und Kunst muss ich also in jeder Situation entscheiden: Wann ist es wichtig zu handeln und zu sprechen, wann ist es wichtig, mich zurückzuhalten, zu schweigen, Platz zu machen? Und ich kann mir nie sicher sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Die weiße US-amerikanische Erziehungswissenschaftlerin Julie Garlen nennt diese Achtsamkeit für Unsicherheit  »abandonment of hope« und empfiehlt sie als Grundhaltung für Kolleg_innen, die sich zu einer diskriminierungskritischen Arbeit in der Bildung und Vermittlung verpflichten. Ich würde »abandonment of hope« mit »Aussetzen der Hoffnung« übersetzen und dabei die verschiedenen Bedeutungen von »Aussetzen« im Blick behalten und in der Schwebe halten wollen: etwas an einen ungemütlichen, unwirtlichen Ort bringen, es allein lassen und anderen zum sich Kümmern überlassen; etwas für eine bestimmte Dauer unterlassen; etwas in die Ungewissheit entlassen; etwas einer Belastung, einem Druck unterziehen.

Es geht um eine bewusste Arbeit im Widerspruch und damit wieder um eine Gratwanderung. Sich auf schmalem Grat zu bewegen erfordert Übung: das Üben der Balance; des Innehaltens zur Orientierung und zum Neuansetzen; der Aufmerksamkeit nicht nur für den Horizont, auf den sich eine_r zubewegt, sondern auch für die zurückgelegte Strecke, für die Beschaffenheit des Weges und die Absturz-, aber auch Abbiegemöglichkeiten in verschiedenen Richtungen.

Damit verbunden ist die regelmäßig gestellte Frage: Was hält mich eigentlich gerade vom Üben dieser Gratwanderung ab?

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