Während diese Bildungsmaterialien entstehen, ist zu beobachten, dass sich eine diskriminierungskritische Reflexion von Sprechweisen gesellschaftlich hegemonialisiert. Davon zeugen z.B. der schnelle Zuwachs an Informationen und Anlaufstellen zum Thema oder kontroverse Diskussionen in der medialen Öffentlichkeit, über geschlechtergerechte und rassismuskritische Sprache. Seit kurzem machen manche Radiosprecher_innen den Gender-Gap hörbar, um in ihrem Sprechen Platz für alle Geschlechter zu machen. Mehr Leute zeigen sich informiert, dass »Schwarz« und »People of Color« Selbstbezeichnungen sind. Ich freue mich darüber, denn es zeigt, dass der Druck von sozialen Bewegungen etwas bewirken kann. Ich werde hier nicht davon schreiben, dass diese Veränderungen mit starkem Gegendruck einhergehen. Oder davon, wie Forderungen im Zuge ihrer Hegemonialisierung oberflächlich aufgegriffen und kaum strukturell wirksam werden, und wie das dazu beiträgt, den Status Quo zu erhalten. Sondern mich beschäftigt an dieser Stelle, dass sich auch in diskriminierungskritischen Bildungssituationen unvermeidlich Konkurrenzverhalten einstellt; namentlich der Wettbewerb um informiertes Vokabular, begriffliche Sicherheit und sprachliche Eloquenz. Die Angelegenheit ist pädagogisch komplex. Es kann für eine Lerngruppe hinderlich sein, wenn einzelne Mitglieder sich aufgrund von inneren Widerständen gegen Lerninhalte uninformiert ausdrücken und damit Diskriminierung wiederholen. Der Anspruch, jeweils selbstkritisch, bewusst und genau mit Sprache umzugehen, ist berechtigt und vermittelbar. Aus marginalisierter Perspektive wiederum ist das Korrigieren von diskriminierender Sprache eine Form, Widerstand zu leisten. Doch das sprachliche Verbessern bringt je nach intersektionaler Verortung auch Gewaltpotentiale mit sich. Es ist es keine gute Lernatmosphäre, wenn diejenigen, die gerade diskriminierungskritisch sprechen lernen, verstummen aus Angst etwas Falsches zu sagen. Zum Beispiel von Klassismus oder Ableismus betroffene Lernende, sowie Lernende, die aufgrund ihrer Erstsprache einen souveränen Umgang mit Fremdwörtern und Konzepten in der Unterrichtssprache nicht schon mitbringen, oder Teilnehmende, die sich grundsätzlich überwinden müssen, in einer Gruppe zu sprechen, werden von diesem Anspruch vielleicht zum Schweigen gebracht, obwohl sie viel zu sagen hätten. Zudem ist das Bemühen, sprachlich informiert und präzise zu sein, selbst nicht per se gewaltfrei – so kann sich darin zum Beispiel der Wunsch artikulieren, selbst nicht in Herrschaftsverhältnisse verstrickt zu sein, respektive die eigene Verstrickung zu überspringen. Mir stellt sich die Frage, wie ein Wettbewerb um die vermeintlich widerspruchsfreieste, gerechteste Position vermieden werden kann. Wie befördere ich Kollektivität und Solidarität in einer diskriminierungskritischen Lerngruppe, wie ein Verständnis dafür, dass es kein Außerhalb von Verstrickung gibt? Wie stelle ich zusammen mit den Beteiligten einen Raum her, in dem sich versprochen, nach Worten gesucht und gestammelt werden kann? Ohne dabei den Anspruch aufzugeben, sprachlich achtsam, informiert und genau zu sein und Diskriminierung nicht zu wiederholen?

Die Unebenheiten in Bezug auf Informiertheit und Betroffenheit in einer Lerngruppe zu Beginn eines gemeinsamen Lernprozesses zur Sprache zu bringen und dabei Wünsche und Regeln für den Umgang miteinander zu formulieren, ist hilfreich. Jedoch reicht es meiner Erfahrung nach nicht aus, um den Balanceakt gemeinsam zu vollziehen. Im weiteren Prozess muss einer diskriminierungskritischen Reflexion der Dynamiken in der Lerngruppe und auch den daraus möglicherweise erwachsenden Konflikten Raum und Zeit geschenkt werden. Das ist vielleicht mit dem Konzept des »Brave Space« gemeint, wie ihn die beiden US-amerikanischen Diversitätsarbeiter_innen Brian Arao and Kristi Clemens vorschlagen: ein Raum, in dem diese Konflikte Platz haben, in dem emotionales Lernen und Lernen mit Emotionen möglich ist. Und manchmal gibt es keinen anderen Weg, als dem Verstummen selbst für eine Weile Platz zu machen.

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