Bei der diskriminierungskritischen Veränderungsarbeit erlebe ich den liberalen, humanistischen Konsens von weißen bürgerlichen Akteur_innen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung als Herausforderung. Wenn ihr Diskriminierungshandeln thematisiert wird, erklären sie, es handele sich um ein Missverständnis; sie hätten es nicht so gemeint. Wenn sich von Diskriminierung betroffene Menschen in Veranstaltungen und Räumen treffen, in denen sie unter sich sein können, um sich auszutauschen, sich zu unterstützen oder auch einfach nur für kurze Zeit zu entspannen, wenden sie ein, diese Exklusivität widerspräche dem Ziel universeller Gleichheit. Der Forderung nach beruflichen und politischen Quoten für unterrepräsentierte Gruppen entgegnen sie, dies verhindere, dass die Qualifikationen der betroffenen Personen zur Geltung kommen könnten. Der Aufforderung, Privilegien aufgrund der eigenen Subjektposition zu reflektieren entgegnen sie, dass das nicht nötig sei, sie sähen keine Farben, Klassen oder Abweichungen von der Norm bzw. diese würden ihre Wahrnehmung und ihr soziales Handeln nicht beeinflussen. Einer machtkritischen Reflexion von Wissenschaft halten sie entgegen, diese würde die Freiheit der Wissenschaft bedrohen. Sie argumentieren moralisch anstatt politisch und machtkritisch: Die Vorstellung eines von der Geschichte und den sozialen Verhältnissen unabhängigen, autonomen Subjekts steht hinter ihrem Entwurf von einer gerechten Welt, die sicher kommen wird, wenn sich alle nur moralisch richtig verhalten. Eine massive Leerstelle dieser Weltsicht besteht darin, dass dieses Subjekt seit seiner Entstehung im Zuge der europäischen Aufklärung weiß, cis-männlich, heterosexuell, fit und bürgerlich gedacht war und niemals alle Menschen meinte. So schreibt der weiße französische Philosoph Jean Paul Sartre im Vorwort zu Frantz Fanons Die Verdammten dieser Erde:

»Ob aus Irrtum oder schlechtem Gewissen: nichts ist bei uns konsequenter als ein rassistischer Humanismus, weil der Europäer nur dadurch sich zum Menschen hat machen können, daß er Sklaven und Monstren hervorbrachte. […] Unsere teuren Werte verlieren ihre Flügel, von nahem betrachtet wird man nicht einen einzigen finden, der nicht mit Blut befleckt ist.«

Diese Leerstelle begründet den liberal-humanistischen Konsens und zeitigt ständig Effekte, die Gleichheit entgegenwirken – auch an der Schnittstelle von Kunst und Bildungsarbeit. Ein Beispiel ist die implizite Annahme der eigenen Überlegenheit, die Projekten weißer kultureller Bildungsarbeiter_innen mit migrantisierten oder geflüchteten Teilnehmenden unterliegt, die aber kaum je explizit gemacht, problematisiert und bearbeitet wird. Oder dass, wie die weiße britische Museumsforscherin Bernadette Lnych zeigt, im Kontext von Kooperationen zwischen Museen und gesellschaftlichen Interessengruppen (»Communities«) in der Regel diejenigen verstetigt werden, die sich reibungslos für die Ziele der Institution einsetzen lassen; Kooperationen mit institutionskritischen Vertreter_innen aus den Interessensgruppen, die unbequeme Fragen stellen und strukturelle Gleichberechtigung z.B. in Entscheidungsprozessen oder in der Entlohnung fordern, werden beendet, ohne dass es dazu eine explizit begründete Entscheidung gäbe. Aus der deklarierten diskriminierungskritischen Transformation wird so ein herrschaftserhaltender Transformismus, in dem die Institutionen selbstkritisch erscheinen, aber strukturell nichts ändern.

Ich erlebe es in der diskriminierungskritischen Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Bildung vor diesem Hintergrund als ein nicht lösbares Problem, dass ich mit meiner Arbeit zu institutionellem Transformismus beitrage. Egal wie sehr ich mich bemühe, auf Bedingungen zu bestehen, die strukturelle Veränderungen zumindest möglich erscheinen lassen, bleibt mein Einfluss darauf, ob das im Rahmen diskriminierungskritischer Bildungsprozesse generierte Wissen und die Tatsache, dass überhaupt eine diskriminierungskritische Arbeit geschieht, institutionell vereinnahmt wird, gering. Bei jeder Anfrage muss ich also neu entscheiden, ob es sich trotzdem lohnt, in eine Kooperation einzusteigen. Schließlich besteht immer die Chance, zum Beispiel die Situation für einzelne Akteur_innen zu verbessern oder leichte Verschiebungen, zum Beispiel in der Außendarstellung, im Umgang mit Personal und Öffentlichkeiten, in der Programmierung, in den Entscheidungsstrukturen oder der Budgetverteilung zu erreichen. Manchmal sage ich wegen dieser Möglichkeit zu, trotz Bauchschmerzen. Zuweilen bestehe ich darauf, dass der Entscheidung für die Zusammenarbeit eine Anfangsrecherche vorausgeht, auf deren Grundlage sich für mich besser einschätzen lässt, inwieweit strukturelle Veränderungen möglich sind. Und nicht selten gilt es als Resultat dieser Anfangsphase dann, »nein« zu sagen. Leicht ist diese Entscheidung nie.

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