Es gibt Situationen aus meiner Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und Kunst, an die ich auch nach Jahren denken muss. Meistens handelt es sich um Momente, wo ich nicht weiterwusste. Eine dieser Erinnerungen geht so: Meine Aufgabe war, mit einer Gruppe Jugendlicher aus einem einjährigen Projekt, in dem es darum ging, sich mit dem Kunstfeld auseinanderzusetzen, eine internationale Messe für Gegenwartskunst zu besuchen. Ich traf auf der Messe zum ersten Mal mit der Gruppe zusammen. Ziel dieses Messebesuchs war, mit ihnen zusammen Wissen über das Kunstsystem zu erarbeiten. Ich hatte den Tag gründlich vorbereitet, z.B. ein Treffen mit einer der Organisator_innen der Messe verabredet, um den Jugendlichen zu erklären, wie der Kunstmarkt funktioniert und Erkundungsspiele für das Ausstellungsgelände entwickelt. Als ich mich der Gruppe vorstellte, schaute mich einer der Teilnehmer an und fragte in, wie ich es hörte, spöttischem Ton: »Traust Du einem Albaner«? Den Rest der Gruppe hörte ich kichern. Damals war ich wohl sprachlos. Zumindest erinnere ich mich nicht mehr, was ich geantwortet habe. Der Tag verlief für mich unbefriedigend, unterminiert von dem Gefühl, an die Jugendlichen »nicht heranzukommen«. Ich fand keinen Weg, den Abstand zwischen uns – im Habitus, in den Erfahrungen entlang der Ungleichheitsachsen Klasse, Geschlecht und Rassifizierung – zu thematisieren und damit zu arbeiten. Heute denke ich, dass in der Frage »Traust Du einem Albaner?« unter anderem die Frage steckte »Warum sollte ich Dir trauen?«. Der Teilnehmer schenkte mir mit der vielschichtigen Frage sein Erfahrungswissen über strukturellen Rassismus und Klassismus, sein Bewusstsein über unsere unterschiedlichen Lebensbedingungen. Das, was ich verkörperte, war eine Wiederaufführung struktureller Diskriminierung: ich wurde als weiße Cis-Frau identifiziert, mit Deutsch als Erstsprache, hohem formalen Bildungsniveau, in der Rolle der Lehrerin. Es ist herausfordernd, aber mitunter notwendig, in der Lernsituation besprechbar zu machen, dass Vertrauen und Verkörperung zusammenhängen: Ein_e ebenso erfahrende Kunstvermittler_in mit Rassismuserfahrung beispielsweise hätte möglicherweise eine andere Reaktion bekommen. Der Fragende und ich wiederum und damit auch die Lernsituation hätten vielleicht bessere Voraussetzungen gehabt, wenn wir uns nicht erst auf dem trubeligen Messegelände begegnet wären. Wenn wir uns im Vorfeld des Besuchs gemeinsam intersektional verortet hätten, um herauszufinden, was die Bedingungen dafür wären, dass wir auf der Kunstmesse zusammen etwas machen können. Oder um herauszufinden, dass der Messebesuch nicht sinnvoll ist, dass die Ziele und Pläne gemeinsam neu bestimmt werden müssen.

Methodische Anregungen für die Erzeugung von Besprechbarkeit gibt mir z.B. die Praxis des Schwarzen kanadischen trans* Aktivisten und Kunstvermittlers Syrus Marcus Ware, die Ware als Leiter* des Youth Council der Art Gallery of Ontario entwickelt hat: In den ersten Sessions jeder neuen Gruppe ging es, angeleitet durch die Jugendlichen der vorherigen Gruppe, zunächst um eine intersektionale Verortung der Teilnehmenden und um die Wünsche, die daraus an die Zusammenarbeit resultieren. Darauf konnte dann im weiteren Verlauf der Arbeit aufgebaut und wenn nötig zurückgekommen werden. Die Gruppen des Youth Council arbeiten jeweils ein Jahr jede Woche mehrere Stunden zusammen, so wie die Jugendlichen aus dem von mir erinnerten Projekt. Doch wie entsteht diese Besprechbarkeit in einem Format, das nur aus wenigen Zeitstunden besteht? Ich habe auf diese Frage keine allgemeine Antwort. Meine Erfahrung ist aber, dass wenn Arbeiter_innen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung auf diese Frage nicht jeweils eine situationsspezifische methodische Antwort entwickeln, dass sich dann garantiert Dominanzverhältnisse reproduzieren.

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