Diese Bildungsmaterialien enthalten Beiträge, die anschaulich machen, wie diskriminierungskritische Veränderungen von Strukturen begonnen wurden. Dazu gehören unter anderem das Zine über den Umgang eines Museums mit rassistischen Bildtiteln von Werken des Expressionismus, die Broschüre und der Text des Projektbüros Diversity Arts Culture, die zeigen, wie Organisationsentwicklung in Kultureinrichtungen gehen kann; die Anti-Rassismus-Klausel für Bühnenverträge oder der Bericht über Veränderungen in der Besetzungspraxis eines Theaters. Oft scheint dabei eine Allianz aus »Space Invaders«, also Subjektpositionen, die bislang nicht oder kaum auftauchen, mit diskriminierungskritisch informierten Vertreter_innen, die stärker der »somatischen Norm« entsprechen, am Werk. Dies sind potentiell konfliktive Zusammenschlüsse, in denen Perspektiven, Emotionen und Interessen in Machtverhältnissen verhandelt und am geteilten Wunsch nach Veränderung ausgerichtet werden müssen. Die feministische Soziologin Nira Yuval-Davis nennt sie »transversale Bündnisse«. Gelingen sie, dann können sie eine Handlungsfähigkeit entfalten, die die bestehende Ordnung stört und zumindest situativ politisch wirksam wird. Gleichzeitig handelt es sich zumeist um Akteur_innen mit wenig formaler institutioneller Entscheidungsmacht – so wird beispielsweise die Arbeit an »Diversity« und »Öffnung« häufig an die Vermittlungsabteilungen von Kultureinrichtungen oder an eine einzelne mit »Diversität« beauftragte Person delegiert. Daraus resultiert die Gefahr auszubrennen. Es ist für die Initiant_innen notwendig, auf ihre Energiereserven zu achten und – auch das etwas, das man aus einigen der Beiträge lernen kann – Bündnisse mit externen Organisationen und Akteur_innen einzugehen (hier ist wiederum das Achten auf Reziprozität wichtig). Auf dem Wissen, das bereits von anderen Initiativen erarbeitet wurde, können sie aufbauen, um davon zu lernen und um Problemstellungen und Lösungsansätze gegenüber denen, die überzeugt werden müssen, anschaulich zu machen. Eine andere Gefahr ist der sogenannte »Tokenism« – die Institution schmückt sich mit der einzelnen kleinen Initiative, ohne den Veränderungsprozess fortzuführen, oder nutzt z.B. die einzige von der »somatischen Norm« abweichende Mitarbeiter_in als Alibi für »Diversity«. Strukturellere Veränderungsarbeit in Institutionen kann nur gelingen, wenn der Veränderungswunsch, der von einer kleinen Gruppe ausgeht, von der Leitungsebene aufgegriffen und in einen diskriminierungskritischen Entwicklungsprozess, der alle Bereiche berührt, übersetzt wird. Konkret kann das für eine Kultur- oder Bildungseinrichtung bedeuten, auf andere Produktionen, zum Beispiel Aufführungen, Ausstellungen oder Kongresse und Publikationen zu verzichten, um Arbeitszeit und finanzielle Ressourcen für alle Beteiligten frei zu machen. Der diskriminierungskritischen Veränderung von Strukturen muss der Status einer großen Produktion eingeräumt werden, wenn sie nicht ausbeuterisch und oberflächlich sein soll. Es handelt sich um einen langfristigen Wandlungsprozess, der, wird er ernst genommen, im jeweiligen Betrieb etablierte und unhinterfragte Vorstellungen von Zeit, Arbeitsweisen, Hierarchien und Qualität einschließt.

Für die einzelnen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung Tätigen bedeutet dies jedoch nicht, dass sie nichts tun können, solange die übergeordneten Entscheidungsebenen das nicht wollen. Ich vertrete ein Verständnis von Bildung und politischer Veränderung, das die Handlungen Einzelner und kleiner Gruppen in einem Wechselverhältnis mit anderen gesellschaftlichen und institutionellen Entscheidungsebenen begreift. Der Wunsch nach diskriminierungskritischer Veränderung von Strukturen kann ein Impuls sein, die eigenen Handlungsmöglichkeiten überhaupt erst einmal auszutesten, zu analysieren und auf dieser Basis das Handeln strategisch respektive taktisch auszurichten. Jeder Kontext kann in Hinblick auf die diskriminierungskritische strukturelle Veränderungsarbeit seine eigene Radikalität entfalten. Auch eine Einzelperson oder eine kleine Gruppe können für sich diskriminierungskritische Arbeitsprinzipien festlegen, dabei Unhintergehbares formulieren und aktiv daran arbeiten, die eigenen Ressourcen und vorhandenen Kapitalien umzuverteilen.

Anregungen für die Recherche
  • Denkt an drei Leute in Eurem beruflichen oder Ausbildungszusammenhang (z.B. Team/Berufsverband Institution/Organisation), die BIPoC sind. Wenn Ihr selbst BIPoC seid, könnt Ihr Euch mit hineinnehmen. Was sind die Beschäftigungsfelder dieser drei Leute? Welche Entscheidungsmacht verbindet sich mit ihrer beruflichen Stellung? Welches Wissen bringen sie ein? Habt Ihr überhaupt drei Leute gefunden?
  • Schreibt drei Dinge auf, die sich aus Eurer Sicht verändern müssten, um die Dominanzverhältnisse in Eurem jeweiligen Zusammenhang zu verändern. Schreibt dann auf, was Ihr selbst tun könnt, um diese Veränderungen auf den Weg zu bringen. Notiert dabei auch, was Euch dabei unterstützen kann, dabei auch Spaß zu haben und die Freude nicht zu verlieren. Lasst Euch dabei gerne von dem Text »Wenn der Hype vorbei ist« von Bahareh Sharifi und Lisa Scheibner vom Projektbüro Diversity Arts Culture auf der Website inspirieren. Nehmt Euch für diese Übung mindestens eine Stunde Zeit.
  • Führt die Übung ein weiteres Mal durch, mit dem Fokus auf einer anderen Differenzkategorie, respektive auf dem intersektionalen Zusammenwirken von Kategorien wie Klasse, Be_Hinderung oder Geschlecht.
  • Versucht, eine Liste von mindestens fünf Arbeitsprinzipien aufzuschreiben, die in Eurem Zusammenhang einen diskriminierungskritisch ausgerichteten, strukturellen Veränderungsprozess voranbringen könnten.
Hier findet Ihr weitere Übekarten aus der Kategorie »Strukturen«:
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