Übung

Übung Politische Subjektivierung

Minimaler Zeitbedarf: 20 Minuten

Versucht, Euch an eine Erfahrung zu erinnern, die für Euch einen Moment der Politisierung bedeutet hat – die dazu beigetragen hat, bei Euch den Wunsch nach Veränderung von Ungleichheitsverhältnissen zu entwickeln. Es kann sich dabei um eine einmalige oder auch um eine wiederkehrende Erfahrung im eigenen Leben handeln, um das Kennenlernen von Netzwerken oder »Leidensgemeinschaften«, um Momente der Solidarisierung mit anderen. Oder es geht um die Lektüre eines Textes oder das Anschauen eines Films. Überlegt, was aus dieser Erfahrung in Eurem weiteren Leben geworden ist – ist sie weiterhin wirksam in Euren Einstellungen und Eurem Handeln?

Zeichnet, skizziert oder schreibt Eure Gedanken in Eurem Lerntagebuch auf.

Übung

Übung Sich verbinden

Minimaler Zeitbedarf: 20 Minuten

In den meisten Leben gibt es Mentor_innen: Leute, die eine_r zugewandt sind und bei der Ausbildung und Verwirklichung des Wunsches nach Veränderung bestärken, fördern und manchmal auch beschützen. Hier ist der Moment, Eure Mentor_innen zu erinnern und sie zu würdigen. Ihr könnt dies z.B. in Form eines Briefes tun, den Ihr in Euer Lerntagebuch schreibt. Oder vielleicht, wenn die Personen noch leben und es sich anbietet, könntet Ihr Ihnen den Brief auch schicken oder anderweitig mit Ihnen Kontakt aufnehmen um ihnen zu danken und/oder Euch gemeinsam mit ihnen zu erinnern. Ihr könnt aber auch ganz andere Formen der Würdigung finden – wie es Euch gemäß erscheint und Freude macht.

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Zum Wunsch nach Veränderung gehört meiner Erfahrung nach auch der Abschied von Gewohnheiten und der Versuch einer Neubewertung dessen, was ich wahrnehme(n kann). (vgl. dazu die von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie RAA, veröffentlichte Broschüre: WAHRNEHMUNG – HALTUNG – HANDLUNG).

Zwei Aspekte finde ich dabei zentral, wobei diese miteinander zusammenhängen. Veränderung bedeutet so etwas wie »das Ende von Sicherheit«, wie James Baldwin es beschreibt. Die Autor_innen von WAHRNEHMUNG – HALTUNG – HANDLUNG bezeichnen diese Veränderung als »Verschiebung hin zu einer geschärften Wahrnehmung, die sich erst einmal als Verstörung bemerkbar macht. […] Um unsere Perspektiven und Wahrnehmungen kritisch reflektieren zu können und andere Menschen in unserem Arbeitsfeld dazu anzuregen, in der Verstörung zu bleiben, hilft uns das Verständnis, wie Rassismus funktioniert und jeweils in uns eingeschrieben ist.« Um Veränderung also nicht nur zu wollen, sondern in der Konsequenz auch aushalten zu können, gehört ein Verständnis dafür, wie Diskriminierungen funktionieren, aber auch eine Fehlerfreundlichkeit. Für diese beschreiben Kaja Silverman mit dem Prinzip des »good enough« und Judith Halberstam mit dem Vorschlag einer »low theory« zwei Handlungsformen in ihren beiden Texten, welche zu einer (komplexen) Neubewertung von Verfehlen und Scheitern einladen. In heterogenen Lerngruppen zu Diskriminierungskritik muss darauf geachtet werden, dass »Fehlerfreundlichkeit« nicht dazu führt, dass Lernen auf Kosten von Diskriminierungserfahrenen erfolgt (vgl. dazu den Text Lernprozesse in der diskriminierungskritischen Kulturellen Bildungsarbeit von Aïcha Diallo und mir, aber auch den Glossarbeitrag von Karen Michelsen Castañón und Katie Lee Dunbar brave space). Gleichermaßen um Stolpersteine wie um Edelsteine in der diskriminierungskritischen Bildung geht es in Annita Kalpakas Text Stolpersteine und Edelsteine in der interkulturellen und antirassistischen Bildungsarbeit, den ich im Zusammenhang mit dieser Lernstation ebenfalls lesenswert finde. Eine transformative Praxis an der Schnittstelle Kunst und Bildung erzeugt Reibung, wie bell hooks feststellt: »Just as it may be difficult for professors to shift their paradigms, it is equally difficult for students. I have always believed that students should enjoy learning. Yet I found that there was much more tension in the diverse classroom setting where the philosophy of teaching is rooted in critical pedagogy and (in my case) in feminist critical pedagogy.« (hooks, 1994:42) Und sie streicht die Bedeutung von Konfliktfähigkeit für die diskriminierungskritische Arbeit in pluralen Lerngruppen heraus: »Confronting one another across differences means that we must change ideas about how we learn; rather than fearing conflict we have to find ways to use it as a catalyst for new thinking, for growth. (ebenda:43). Das Institut for Queer Theory hat in Zusammenarbeit mit district Berlin das kulturelle Bildungsprojekt Caring for Conflict entwickelt, das sich an 12–27-Jährige richtete und in dessen Rahmen 2017–2019 Kooperationen in Form von künstlerischen Projekten mit Schulen, Jugendzentren und Organisationen entwickelt und realisiert wurden, »von denen einige explizit feministisch, queer und anti-rassistisch arbeiten, und alle mit einer Aufmerksamkeit für komplexe, intersektional verflochtene Differenzen, Mehrfachzugehörigkeiten und Machtverhältnisse antreten.« (vgl. Projektwebsite). Teil des Projekts war das KLIRRRRR – Festival, bei dem es um queere Konfliktkulturen ging.

Drei Beispiele, bei denen das »Verändern wollen« von (angehenden) Lehrpersonen ausging, sind

  • die Gruppe Kritische Lehrer*innen, welche 2012 die Publikation Kein Handbuch herausgegeben hat
  • der Verein Kreidestaub, ein deutschlandweites Netzwerk von Studierenden aus den Bereichen Lehramt, Erziehungswissenschaft und Pädagogik, der seit 2013 Formate entwickelt, »in denen Studierende das lernen, was sie in der universitären Ausbildung vermissen«
  • Die Initiative intersektionales Lehramt, »eine Gruppe kritischer Studierender des Lehramts an der Freien Universität Berlin, die in einem öffentlichen Brief Rassismus und Sexismus anprangern und fordern, »dass sich grundsätzlich etwas ändern muss in der Lehramtsausbildung, da diese keine(!) reflexive Auseinandersetzungen mit Rassismus und Sexismus sucht.«

Beispiele, bei denen das »Verändern wollen« von Schüler_innen, bzw. Jugendlichen ausgeht sind

  • keineschuleohnefeminismus beschreibt sich selbst in erster Linie als »eine feministische aktion. Eigentlich sind wir aber auch nur eine Gruppe von Schüler*innen, die den Sexismus satt haben.«
  • queer@school ist ein autonomes Projekt des Jugendnetzwerks Lambda Berlin-Brandenburg e.V. Das Projekt bietet Queere Bildung unter Berücksichtigung von Mehrfachzugehörigkeiten für junge Menschen unter 27 Jahren an
  • Sisterqueens ist ein feministisches Rap-Projekt mit Mädchen_ und eine Kollaboration zwischen dem interkulturellen Zentrum für Mädchen_ und junge Frauen_ und Künstler_innen von ongoing project
  • Theater X ist ein alternatives CommUNITY-Theater in Moabit, »das von Jugendlichen und Mitarbeiter*innen gemeinsam, im Co-Management, konzipiert und betrieben wird.«
  • »Die Black Diaspora School befasst sich mit den Themen afrikanische- und afrodiasporische Geschichte, Menschenrechte, Literatur und bietet zudem Prüfungsvorbereitung, Nachhilfe, Ferienangebote und den Austausch mit Vorbildern aus der Community. […] In unserer Black Diaspora School (BDS) können sie einander treffen und gemeinsam für die Schule lernen – doch vor allem all das, was sie in der Schule (noch) nicht lernen können.«
  • Theatergruppe So Keres
  • Autor_innenkollektiv der Publikation SVKSelbstverteidigungskurs mit Worten

Ebenfalls zum »Verändern wollen« gehört aus meiner Sicht (zumal für eine Praxis zwischen Kunst und Bildung) auch das Ausprägen einer Fähigkeit zur Repräsentationskritik als »Ansatz einer kritischen Bildwissenschaft […] mit dem Ziel, prägende und oft unhinterfragte Bildmuster als solche sichtbar zu machen, zu dekonstruieren und wenn möglich zu verschieben (vgl. Das Kapitel »Repräsentation« von Anna Schürch in den Materialien zum Selbststudium). Dazu gibt es im Rassismuskritischen Leitfaden ein Kapitel zum Umgang mit Bildern und Texten, zu dem wir mit Nanna Lüth im Rahmen der KontextSchule in der Werkstatt Repräsentation gearbeitet haben.

Aber auch eine Bereitschaft zum Kontrollverlust und zu Kontingenz (vgl. dazu das Praxisforschungsprojekt Kalkül und Kontingenz). Gerade für dieses Verschieben, das ich als eine Handlungsform von »Verändern wollen« verstehe, scheint mir wiederum das Konzept der »Performativität« wichtig (vgl. das Kapitel »Performativität« von Nora Landkammer in den Materialien zum Selbststudium). Die Konsequenzen der Veränderung nicht nur zu wollen, sondern auch auszuhalten, hängt in der diskriminierungskritischen künstlerisch-edukativen Arbeit mit meiner Bereitschaft als mehrfach Privilegierte zusammen, Theorie und Praxis aufeinander zu beziehen, denn wenn »weiße Aktivist_innen antirassistische Theorie von ihrer Praxis trennen, ist Gefahr im Verzug.« (Bee 2013) Etwas anders beschreibt Sara Ahmed die Unmöglichkeit den Aktivismus vom Alltag zu trennen – etwa, wenn sie Feminismus als Hausaufgabe beschreibt: »Ich schlage […] vor, Feminismus als Hausaufgabe in dem Sinne zu sehen, dass wir Aufgaben zu lösen haben, gerade weil wir in einer Welt nicht zu Hause sind. […]« (Ahmed 2017:17) Oder wenn sie schreibt, dass sie nach der Lektüre Schwarzer Feminist_innen und Feminist_innen of Color erkannt hat, dass »verkörperte Erfahrung von Macht die Grundlage für Wissen liefert«, oder »dass Theorie mehr konnte, je tiefer sie unter die Haut ging«. (ebenda:21)

Meine eigene Vermittlungspraxis an der Schnittstelle Kunst, Bildung und Diskriminierungskritik hat sich in den letzten Jahren nicht mit einem Schlag, aber nach und nach grundlegend durch eine Reihe von AHA-Momenten verändert, die mit einer ähnlichen Erkenntnis zu tun haben; nämlich der, dass die Dimensionen dessen, wie Körper und Emotionen bzw. Affekte sich auf diese Art der Arbeit auswirken, mir nicht mehr nur (kognitiv) einleuchteten, sondern (somatisch) erfahrbar wurden. In ihrem Text Du hast gesagt, es würde nicht wehtun. Verkörperte Pädagogik schreibt die Künstlerin Rajkamal Kahlon:

»Um Bildung als eine Praxis der Freiheit zu verwirklichen, ist eine Art zu lehren notwendig, die für alle offen ist. Es wird am einfachsten für diejenigen sein, die bereit sind zu erkennen, dass die Lehre auch eine ›heilige Funktion‹ hat (hooks 1994:13). Die Sorge für unser ›Selbst‹ einschließlich der eigenen Seele, ist für diesen Prozess der Befreiung und Transformation, für uns und unsere Schüler*innen oder Student*innen grundlegend. Unsere Befreiungen sind miteinander verflochten und nur durch gemeinsame Arbeit und Wachstum möglich.« (Kahlon 2017: 88)

Und zitiert bell hooks:

»Jedes Klassenzimmer, das ein ganzheitliches Lernmodell einsetzt, wird auch ein Ort sein, an dem Lehrer*innen wachsen und durch diesen Prozess befähigt werden. Diese Ermächtigung kann nicht stattfinden, wenn wir uns weigern, verletzlich zu sein und die Schüler*innen gleichzeitig dazu zu ermutigen, Risiken einzugehen … Wenn Professor*innen ihre Erfahrungen in die Diskussion einbringen, verhindert das, dass wir als allwissende, stille Fragen-Abfrager*innen auftreten können. Es ist oft produktiv, wenn Professor*innen das erste Risiko auf sich nehmen und bekennende Erzählungen mit akademischen Diskussionen verknüpfen, um zu zeigen, wie die persönlichen Erfahrungen das akademische Material veranschaulichen kann [sic!]. Die meisten Professor*innen müssen erst üben, im Klassenzimmer verletzlich zu sein, ganz präsent zu sein mit Verstand, Körper und Geist.« (hooks zit. nach Kahlon, ebda.)

Wie für viele meiner Kolleg_innen, die sich diskriminierungskritisch mit Fragen zu Pädagogik befassen, sind auch für meine Praxis Teaching to Transgress und die darauf rekurrierende, auf deutsch erschienene, Promotionsschrift von Belinda Kazeem-Kamiński: Engaged Pedagogy. Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks zentrale Referenzpunkte.

Im Rahmen des von den Kolleg_innen Christine Lemke und Anna Kölle während der KontextSchule 2018–20 ins Leben gerufenen Lesekreis, haben wir angefangen, uns mit Texten zu kritischer Pädagogik zu beschäftigen. Um die Lektüre aktiv an unsere Praxis anzuknüpfen, erstellen wir jeweils Scores, also kleine Partituren oder Handlungsanregungen, in der Art, wie sie Yoko Ono in ihrem Grapefruit Book versammelt.

Ein »Verändern Wollen«, das mich sehr beeinflusst hat, seit ich in Berlin lebe, ist das von Bündnissen und Initiativen Schwarzer Menschen und der hiesigen afrikanischen Diaspora und Verbündeter. Diese Veränderungen hängen eng mit globalen Entwicklungen zusammen – aber alleine hier in Berlin haben Träger wie ADEFRA, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund), EOTO, Berlin Postkolonial e.V., Antirassistisch-Interkulturelles Informationszentrum (ARiC) Berlin e. V., Citizens for Europe, Eine Welt Stadt Berlin, um nur einige zu nennen, unglaublich viel angestoßen und ins Rollen gebracht: Von der Umbenennung kolonialrassistischer Straßennamen in Berlin (vgl. dazu u.a. das vom Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag in Kooperation mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) und Berlin Postkolonial e.V. herausgegebene Dossier zu kolonialen und rassistischen Straßennamen in Berlin: Stadt neu lesen), den Postkolonialen Stadtrundgängen des Vereins Berlin Postkolonial e.V. und das Kings Code Projekt der Black Diaspora School. Die im Rahmen eines Projektseminars von Noa Ha und Studierenden der TU Berlin in Kooperation mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD e.V.), Berlin Postkolonial e.V und dem Praxisforschungsprojekt »erinnerungsorte« entwickelte Postkoloniale Stadtkarte Berlins. Der Aufbau des Kompetenzzentrums für Anti-Schwarzen Rassismus bei EOTO. Die Studien von Citizens for Europe zu Handlungsoptionen für die Diversifizierung des Berliner Kulturbetriebs. Der Afrozensus.

Einige dieser Akteur_innen sind auch stark in der Bildung engagiert – den Rassismuskritischen Leitfaden, der »Anregungen zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora« beinhaltet, habe ich weiter oben bereits erwähnt. Der Verein glokal e.V. hat mit seiner Materialsammlung mangoes and bullets sowie den Publikationen Connecting the dots. Lernen aus Geschichte(n) zu Unterdrückung und Widerstand (aus der auch der weiter oben zitierte Text von Rajkamal Kahlon stammt), aber auch den Handreichungen Die Spitze des Eisbergs u.a. einen Pool an Methoden und Hintergrundinformationen zusammengestellt, auf die ich mich in meiner Arbeit oft beziehe. Auch das Institut für diskriminierungsfreie Bildung bietet Materialien für einen rassismuskritischen Unterricht an – es hat u.a. als Teil des Antirassistisch-Interkulturellen Informationszentrum (ARiC) Berlin e.V. in Kooperation mit Berlin Postkolonial e. V. und dem Entwicklungspolitisches Bildungs- und Informationszentrum e. V. – EPIZ eine Dokumentation zum Projekt Hier und Jetzt: Kolonialismus und Kolonialrassismus im Schulunterricht herausgegeben. Das Projekt Kings Code hat sich aus einem Schulprojekt heraus entwickelt und wird inzwischen von den jungen Menschen in Eigenregie mit viel Engagement und professionellem Webauftritt weiter betreut.

Als Erweiterung zur ersten Übung könnte mit zwei Methoden gearbeitet werden: Mit der künstlerisch-kartierenden Methode Sich Verzeichnen, welche die Künstlerin und Kunstvermittlerin Mikki Muhr entwickelt hat. Und/oder mit der Forschungsmethode des narrativen Interviews, wie es im Oldenburger Methodenreader beschrieben wird.

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