Eine methodische Selbstverortung in Zeiten einer Pandemie: Online zu unterrichten fällt mir schwer. Ich interagiere gerne mit Körpersprache, Mimik und Gestik der Lernenden. Ich bewege mich gerne beim Lehren durch den Raum und nehme verschiedene Körperhaltungen ein. Ich habe Spaß daran, den physischen Raum, in dem wir zusammenkommen, gemeinsam umzustrukturieren und verschiedene Atmosphären und Lernarrangements zu initiieren. Um motiviert und inspiriert zu unterrichten, bin ich angewiesen auf die Resonanz, die wir, Lernende und Lehrende, gemeinsam im physischen Raum erzeugen: gute Stimmung, Gesprächigkeit, Konflikte, Schweigen, Zerstreutheit und Aufmerksamkeit – alles ist mir lieb, und all das fehlt mir. Von manchen chronisch kranken oder neuro-diversen Menschen, von Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt werden oder die es anstrengt, sichtbar zu sein, lerne ich dagegen, dass sie den Onlinemodus ganz anders erfahren: als Entlastung und als Erweiterung ihrer Möglichkeiten, zu initiieren, teilzunehmen und beizutragen. Meine methodischen Vorlieben sind also mit meinen psychisch-sozialen, mentalen und körperlichen Ressourcen verbunden. Leitfäden mit Fragen wie »Für wen ist eine Methode leicht und warum? Wer wird durch meine Methoden gefördert, wer benachteiligt?« können für das Einüben einer gleichschwebenden Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen methodischen Bias hilfreich sein.

Einen methodischen Hinweis für die diskriminierungskritische Projektkonzeption erhielt ich von Syrus Marcus Ware: Ware schlug vor, eine soziale Position mit hoher intersektionaler Verwundbarkeit ins imaginäre Zentrum zu stellen und von dort aus die Konzeption zu starten. Ein Beispiel, wie so etwas aussehen könnte: Während einer diskriminierungskritischen Reflexionswerkstatt stellte mein Kollege Philipp Horst vom Museum der Arbeitswelt in Dortmund eine Ausstellung zum Thema Mobilität vor. Die Ausstellung hatte das Anliegen, das Umweltbewusstsein ihrer Besucher_innen zu bilden. Das war gut gemeint, aber es gab einen pädagogischen Subtext: die ideale Bürger_in erschien darin weiß, aus der liberalen Mittelschicht kommend und körperlich unversehrt. Dass ein nachhaltiger Lebensstil etwas mit sozialer Herkunft – Klasse – zu tun hat, oder dass Mobilität für Menschen, die in ihrer Bewegungsfreiheit behindert werden, etwas völlig anderes bedeuten kann als für eine Person, die es sich aussuchen kann, wie sie zur Arbeit fährt, kam nicht vor. Wir dachten darüber nach, wie die Ausstellung geworden wäre, wenn als Ausgangspunkt Menschen mit wenig Geld, im Rollstuhl sitzend und von Rassismus betroffene Menschen als Publikum imaginiert worden wären: Sie wäre machtkritischer und selbstreflexiver geworden, mit einer größeren Bandbreite von Darstellungsweisen. Sie hätte die sozialen Bedingungen von Lernen mit zum Inhalt gemacht. Das wäre für jedes denkbare Publikum ein horizonterweiterndes Bildungsgeschehen gewesen.

Eine diskriminierungskritische Selbstverortung in Hinblick auf Methoden gelingt am besten durch Perspektivenwechsel. Eine Möglichkeit dazu ist, sich mit diskriminierungskritisch informierten Akteur_innen aus anderen Bereichen – z.B. aus den Disability Studies, den Trans und Queer Studies, den Critical Race Studies, der kritischen (!) Entwicklungszusammenarbeit oder der politischen Bildung zu vernetzen. Die damit verbundenen Einladungspolitiken müssen dabei wiederum einem diskriminierungskritischen Methodencheck unterzogen werden, unter Stichworten wie: Reziprozität erzeugen, Redezeiten machtsensibel gestalten, Entscheidungen enthierarchisieren. Öffnet den Prozess für Konflikte, die aus unterschiedlichen Perspektiven entstehen, und entwickelt ein Interesse an dem, was passiert, wenn ihnen Raum gegeben wird.

Anregungen für die Recherche
  • Geht noch einmal zurück zu Eurer Selbstverortung entlang der Power Flower – Übungen aus dem Set »Lesen Lernen«. Reflektiert vor den Ergebnissen der Übung Eure eigenen Vorlieben beim Lernen und Lehren.
  • Überlegt, welche Kolleg_innen für Euch zum jetzigen Zeitpunkt besonders gut für den Austausch und für ein kritisch-konstruktives Reflektieren Eurer methodischen Gewohnheiten wären: wären sie ähnlich auf der Power Flower verzeichnet wie ihr selbst? Oder vielleicht ganz anders? Worin begründet sich Eure Einschätzung?
  • Nehmt Euch Zeit, durch die Datenbank zu gehen und dort nach methodischen Anregungen, die Ihr gut brauchen könnt, zu suchen.
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