Ein Beispiel, wie sich der symbolische und materielle Wert der dominanten Subjektpositionen auf methodisches Handeln niederschlägt, ist die Art und Weise, wie Rollen im Theater besetzt werden. Die meisten Stücke sehen vor allem Rollen für weiße Menschen mit normierten Körpern vor. Meistens werden diese auch heute noch entsprechend besetzt, was Schauspieler_innen mit anderen Körpern unabhängig von der Qualität ihrer Arbeit einschränkt. Dass Impulse zur Veränderung häufig aus minorisiertem Wissen entstehen, davon zeugt eine methodische Entscheidung der Regisseurin Anta Helena Recke. 2017 re-inszenierte sie das Stück Mittelreich an den Münchner Kammerspielen. Das Stück nach einem Roman des Schriftstellers Josef Bierbichler zeigt bayerische Geschichte des 20. Jahrhunderts am Beispiel einer Bauernfamilie. Recke besetzte das Stück mit Schwarzen Schauspieler_innen. Dieses methodische Vorgehen wird als »Rückaneignung«, als »re-appropriation« bezeichnet. Es löste Empörung im Theaterfeuilleton aus (so vermisste Bernd Noack in der NZZ die »voralpenfrische rosige Hautfarbe« bei der Figur des alten Bauern). Gleichzeitig fand sich ein deutlich diverseres Publikum als üblich in den Kammerspielen ein. Dass Recke mit dieser und nachfolgenden Produktionen einen Nerv getroffen und eine überfällige Debatte angestoßen hatte, zeigt sich daran, dass sie unbenommen der Reaktionen der Theaterkritik zum renommierten Theatertreffen eingeladen wurde und 2020 den Tabori Preis bekam.

Auch in der pädagogischen Arbeit ist die Verteilung von Theaterrollen ein Handlungsfeld, in dem dominante Subjektpositionen hergestellt werden. Das beginnt (vor allem, aber nicht nur) in katholisch dominierten Regionen bereits im Kindergarten und in der Grundschule, beim traditionellen »Krippenspiel«: Wenn ein Schwarzes Kind in der Gruppe ist, dann spielt dieses wahrscheinlich den Melchior – wenn keines da ist, so kommt es auch heute noch zum rassistischen Blackfacing (einem weißen Kind wird das Gesicht angemalt, manchmal sogar eine Perücke aufgesetzt). Das schlankeste, blondeste, langhaarigste, als Mädchen gelesene Kind der Gruppe spielt die Maria – und so weiter. Wer (von den beteiligten Kindern, aber auch von den Eltern, die zuschauen, vom Publikum) wird durch diese Praxis beschämt, respektive: wer wird in was bestärkt? Welche Rolle spielen Schweigen, Vermeidung (z.B. sich nicht für eine Rolle melden, weil man schon ahnt, dass der eigene Körper für die Rolle als ungeeignet gelesen wird) und Fernbleiben als Widerstandsmethoden seitens der Kinder im Krippenspiel, von dem gesagt wird, es vermittele eine kollektive Friedensbotschaft? Ich habe beim Schreiben dieses Textes recherchiert, ob es Studien gibt, welche die Auswirkungen der Reproduktion sozialer Ungleichheit und von Stigmatisierung auf die Selbstkonzepte der Kinder im Rahmen von Krippenspielen untersuchen. Ich habe keine gefunden. Stattdessen bin ich vereinzelt auf Zeichen eines Problembewusstseins gestoßen. Ich fand Neuinterpretationen der Erzählung, Methoden partizipativer Spielentwicklung und auch hier der alternativen Rollenbesetzung: Mit Kindern, die für die Rollen in der beschriebenen dominanten Praxis nicht vor-gesehen sind. Wiederum kommt der Impuls letztendlich durch die Minorisierten zustande: Schulen und Kindergärten arbeiten mit Lernenden und leider weiterhin viel zu wenig auch mit Lehrenden, die auf unterschiedlichste Weisen nicht den hegemonialen Subjektpositionen entsprechen. Dies bringt die Einrichtungen zumindest punktuell dazu, darüber nachzudenken, welche Herangehensweisen für möglichst alle Beteiligten interessant und stärkend sein könnten.

Anregungen für die Recherche
  • Wie könnte eine theaterpädagogische Arbeit zu Reckes Mittelreich aussehen? Habt Ihr Ideen, wie man die Methode der diskriminierungskritischen Rückaneignung vermitteln könnte?
  • Kennt Ihr weitere Beispiele, wo Methoden wie Rückaneignung und Umarbeitung zu einer diskriminierungskritischen Praxis an der Schnittstelle von Kunst und Bildung beigetragen haben? Fügt diese Eurem Methodenpool hinzu.
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