Üben
Strukturen
Hegemoniale Adressierungen erkennen und unterbrechen
Mit »Kulturbotschafter_innen«, »Keyworkers« oder »Kulturattachés« versuchen manche europäische Museen im 21. Jahrhundert ihre Publikumsstruktur zu diversifizieren. Dabei handelt es sich um ehrenamtlich Tätige, die das Angebot in der gesellschaftlichen Gruppe, in der sie verankert sind, bekannt machen und für den Museumsbesuch werben. Als Gegenleistung erhalten sie z.B. freien Eintritt und die Behandlung als Ehrengast (VIP).
Eine Evaluation, an der ich als Wissenschaftlerin beteiligt war, zeigte Problematiken dieser Herangehensweise auf. Es profitieren vornehmlich Personen davon, die aufgrund ihres symbolischen Kapitals wissen, wie sie den Mehrwert, der daraus resultiert, in einer Kultureinrichtung aktiv zu sein, für ihr soziales Ansehen und ihr berufliches Fortkommen nutzen können. So wurde in einem Fall eine Politiker_in einer ultrarechten Partei Kulturbotschafter_in und publizierte dies auf der persönlichen Website, um sich als kunstaffin zu zeigen. »Kulturbotschafter_innen« laden vor allem Leute zum Besuch ein, die den sozialen Positionierungen des bereits bestehenden Publikums entsprechen, was Reproduktion statt Veränderung der Strukturen bedeutet. Demgegenüber ist bei Kulturbotschafter_innen, die mit wenig symbolischem Kapital ausgestattet sind, eine Instrumentalisierung für die Belange des Museums zu beobachten. Die Museen profitieren von ihnen: Sie erhalten zum Beispiel minorisiertes Wissen, das sie für ihre Weiterarbeit nutzen können oder Bilder von minorisierten Körpern in ihren Räumen, die sie als engagierte, diversitätsorientierte Kultureinrichtungen ausweisen. Es stellt sich hier die dringende Frage nach der Reziprozität. Dass es alleine schon eine Auszeichnung ist, in einer bürgerlichen Kultureinrichtung gleichsam zu Hause zu sein, ihre Verhaltenscodes zu kennen und ihren Inhalt als wertvoll anzuerkennen, ist eine hegemoniale Anrufung. Eine diskriminierungskritische Unterbrechung ist es, Menschen, die zur Beratung und zur Publikumserweiterung herangezogen werden, angemessen zu bezahlen, anstatt davon auszugehen, dass es für alle gleichermaßen Lohn genug ist, ihre Zeit, ihr Wissen und ihr Engagement zur Verfügung stellen zu dürfen. Eine weiterer Versuch der Unterbrechung, den insbesondere Museen in Großbritannien unternehmen, besteht darin, die angebotenen Mitwirkungsmöglichkeiten auszuweiten, indem zum Beispiel Jugendliche Einfluss auf die Programmgestaltung und die Wissensproduktion des Museums nehmen können und dabei auch professionelle Kontakte und ausbildungsrelevante Zertifikate erwerben. Solche Versuche unternimmt zum Beispiel der Schwarze britische Kunstvermittler Mark Miller seit 2006 an den Tate Galleries in London. Verantwortlich für die dortigen Jugendprogramme, liegt ein Schwerpunkt seiner Arbeit darauf, insbesondere Jugendlichen mit intersektionaler Diskriminierungserfahrung Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit im Kunstbereich zu eröffnen. Dazu gehört das landesweite Aktionsforschungsprojekt Circuit, das 2014–2017 von Kunstmuseen und Jugendorganisationen in Kooperation durchgeführt wurde. Vier Jahre lang engagierten sich Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren in Museen. Sie organisierten, unterstützt von professionellen Museumsarbeiter_innen, eigene Veranstaltungen und Ausstellungen. Die Ergebnisse der Begleitforschung fallen ambivalent aus: Die Museen profitierten ihrerseits von den fast 200.000 neuen Gästen, die durch die Veranstaltungen der Jugendlichen erreicht wurden, und durch die neuen Impulse, das »Youth Knowledge« welches in die Institutionen hineingebracht wurde. Doch trotz der großen Anstrengung, die das Projekt unternahm, in den Institutionen Artikulationsräume für die jugendlichen Space Invaders herzustellen, konnten am Ende doch diejenigen Jugendlichen am allermeisten profitieren, die über Ressourcen wie eine unterstützende Familie oder Geld verfügten. Manche, die ihr Geld selbst verdienen mussten, konnten sich die Teilnahme am Projekt schlicht auf die Dauer nicht leisten. Hegemoniale Institutionen der Hochkultur sind eine besonders harte Nuss, wenn es um strukturelle Veränderungen geht.
Kennt Ihr Beispiele von Kooperationen in Kultureinrichtungen, wo bewusst Anstrengungen unternommen wurden, um Reziprozität zu gewährleisten? Sammelt diese und überprüft: Welches Wissen steht Euch zur Verfügung, um das zu beurteilen? Welche Stimmen müsstet Ihr dazu noch hören?
Kennt Ihr Beispiele, wo versucht wurde, Mitbestimmung in einer Kultureinrichtung möglich zu machen und über die Vermittlungsarbeit Space Invaders eine berufliche Laufbahn im künstlerischen Feld zu ermöglichen? Welche Widersprüche sind dabei aufgetaucht?