Das Projekt Die Kunstnäher_innen (2014–2016) hatte zum Ziel, Jugendliche, die bislang noch nichts mit Kunst zu tun gehabt hatten, dazu auszubilden, das Programm eines Festivals mit Kunst für junge Menschen mitzubestimmen. Meine Kollegin und ich, die wir uns das Projekt ausdachten, waren kritische Kunstvermittlerinnen. So legten wir zum Beispiel fest, dass die Teilnehmer_innen im Sinne der Reziprozität bezahlt würden, weil wir ihr minorisiertes Wissen nicht für das Festival ausbeuten wollten und weil wir nicht ausschließlich mit Jugendlichen arbeiten wollten, die schon ein Interesse an den Künsten mitbrachten. Wir nannten unseren Ansatz »rationale Kunstvermittlung«, nach dem Soziologen Pierre Bourdieu, der unter »rationaler Pädagogik« Bildungsarbeit versteht, die in ihren Methoden strukturelle Benachteiligung berücksichtigt. Bei den Kunstnäher_innen entstanden zum Beispiel ein gemeinsam geschriebenes Glossar mit künstlerischen Fachbegriffen in zugänglicher Sprache. Jedoch gelang es nicht, Jugendliche für die Programmierung des Festivals zu begeistern und zu qualifizieren. Obwohl sich die Teilnehmer_innen insgesamt positiv über das Projekt äußerten, entwickelten sie Methoden der Verweigerung: Manche kamen zu spät oder meldeten sich kurzfristig ab. Manche reduzierten die Diskussion im Projekt auf die finanziellen Aspekte. Trotz kritischen Bewusstseins und aller Erfahrung hatten wir bei der Projektkonzeption die Wirkmächtigkeit von Ungleichheit unterschätzt; in diesem Fall das Zusammenwirken von Geschlecht, Klasse und Rassifizierung. Ein am Theater interessierter junger Mann schrieb einen Text über den Peerverlust, den er durch den mit der Theaterarbeit verbundenen Habituswechsel erlitt. Er gab sich in dem Text zwei verschiedene Namen und stellte fest: Die beiden Ichs würden nicht miteinander sprechen können. Sie hingen mit völlig anderen Leuten an völlig anderen Orten rum. Antworten Jugendliche mit wenig symbolischem Kapital auf die von den Künsten ausgehenden Anrufungen, hat dies für sie potentiell einen zumindest teilweisen Bruch mit ihrem Lebensumfeld zur Folge. Warum sollten sie das wollen? Methoden an der Schnittstelle von Bildung und Kunst müssen Intersektionalität reflektieren und pädagogisch be/verantworten. Anstatt anzunehmen, dass man per se Gutes tut, wenn man Jugendliche für die Künste begeistert, müssen Folgen wie Peerverlust und Frustrationspotentiale ernst genommen werden. Gemeinsam mit den Jugendlichen müssen diese angesichts der erhofften Artikulations- und Handlungsräume, welche die Künste zu öffnen versprechen, abgewogen werden; z.B. besprochen und geübt werden, wie eine_r zwischen Codes und Registern wechselt und verschiedene soziale Sphären miteinander verbunden oder parallel lebt. Ein solches miteinander Üben setzt Vertrauen voraus. Förderlich dafür sind diskriminierungskritisch informierte Lehrende mit eigenen biografischen Ausschlusserfahrungen, denn Methoden werden immer auch verkörpert.

Interessant finde ich methodische Herangehensweisen, bei denen die Beschäftigung mit den Künsten in partizipatives Forschen eingebettet ist. So unterschiedliche Projekte wie das Public Science Project (New York City), das Youth Research Lab, das Youth Council der Art Gallery of Ontario (Toronto) sowie Tricks of the Trade (Wien) haben gemeinsam, dass sie bereits die Ausgangspunkte und Fragestellungen für Projekte gemeinsam mit den Teilnehmer_innen erarbeiten. Sie vermitteln Kindern und Jugendlichen Methoden, um eigenständig Themen erschließen und sichtbar machen zu können. Die machtkritische Beschäftigung mit den Konflikten, die dabei entstehen, gehört zur Methodik.

Anregungen für die Recherche
  • Erinnert Euch an Momente in Eurer Arbeit oder Eurem Studium oder Eurer Schulzeit, wo Teilnehmer_innen Methoden der Verweigerung zur Anwendung brachten. Versucht, diese aus diskriminierungskritischer Perspektive zu würdigen.
  • Das Projekt Tricks of the Trade hat auf seiner Website eine Auswahl von »Tricks« veröffentlicht: Methoden für das partizipative Forschen mit Jugendlichen. Schaut Euch diese Methodensammlung an: verwendet ihr ähnliche Zugänge? Interessiert Euch etwas davon auszuprobieren? Füllt Euren Methodenpool. Könnt Ihr auch in diesen methodischen Zugängen potentielle weiße Flecken entdecken?
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