Vignetten
Vincent Bababoutilabo, 2023
Vier Situationen
1. C.A.F.F.E.E.
In der Pause sitzen sie im Klassenraum bei offenen Fenster und hören die Kinder von draußen singen: „C.A.F.F.E.E. trink nicht so viel Kaffee! Nicht für Kinder ist der Türkentrank schwächt die Nerven macht dich blass und krank. Sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann!“ Eine befreundete Pädagogin erzählte ihnen bereits vor einiger Zeit, dass dieses Lied stark orientalistisch geprägt ist. Sie eilen nach draußen, um mit den singenden Schüler:innen ins Gespräch zu kommen. Diese zeigen sich interessiert, aber erklären ihnen ruhig, dass sie dieses Lied momentan im Musikunterricht singen. „Die Buchstaben sind gleichzeitig auch die ersten Noten des Liedes „C.A.F.F.E.E.“ und man kann das Lied im Kanon singen!“ sagt ihnen eine aufgeweckte Schülerin und macht sich daran mit den anderen einen 3 Stimmigen Kanon anzuleiten.
2. Mark
Der Schüler Mark, 6. Klasse, kommt jeden Morgen zu spät. Er redet nicht viel und entschuldigt sich nur knapp. Innerhalb der ersten 30min des Unterrichts schläft er meistens ein. Seine Hausaufgaben erledigt Mark recht selten und wenn, dann verschriftlicht er sie in einer Form, die für sie nicht lesbar ist. Nach einem Elterngespräch sowie einem Besuch von Marks Wohnort vermuten sie, dass er in den Meisten Fällen morgens schlicht überarbeitet ist. Vor der Schule muss er nicht nur für sich, sondern auch für seine 2 Schwestern Essen machen, für alle die Schulranzen vorbereiten und sie auf ihrem Schulweg begleiten.
3. Lieblingskunst
Für ein Kunstprojekt wurden die Schüler:innen darum gebeten ein Kunstwerk oder Design-Objekt mitzubringen und vorzustellen, das ihnen besonders gut gefällt. Nach einigen interessanten Beiträgen sind 2 Personen an der Reihe, die ein Musik-Video aus dem sog. „Deutsch-Rap“ Genre vorstellen. Es wird deutlich, dass die Schüler:innen sich darüber im Klaren sind, dass die übersexualisierte, objektifiziernde Darstellung der Frauen sowie die Verwendung von rassistischen Begriffen im Video eine bewusste Provokation der Darstellenden ist. Diese zeigt ihre Wirkung. Es wird schlagartig unruhig im Klassenraum und viele der Schüler:innen fangen laut an zu lachen.
4. Der Anruf
Es ist ihnen ein Anliegen macht- und rassismuskritischen Unterricht anzubieten. Hierbei legen sie einen besonderen Fokus darauf zu verdeutlichen, dass die verschiedenen Diskriminierungsformen miteinander verschränkt sind. So gehen sie neben Rassismus in all seinen Ausprägungen u.a. auch auf Sexismus ein. Es läuft gut, die Schüler:innen fragen interessante Rückfragen, wirken aufgeschlossen und interessiert. Einen Monat erhalten sie einen Anruf der Schulleitung. An letztere Wurde seitens einiger Eltern ein Vorwurf formuliert: Die Kinder würden durch die frühzeitige Beschäftigung mit Sexualität und geschlechtlicher Vielfalt verunsichert und im Prozess ihrer Identitäsbildung gestört.