Übung

Übung Biografische Schlüsselmomente

Minimaler Zeitbedarf: 45 Minuten

Schaut zu Beginn zurück in Eure Vergangenheit. Versucht, Euch den Moment zu vergegenwärtigen, in dem Ihr zum ersten Mal gemerkt habt, dass Ihr z.B. (nicht) cis-männlich oder -weiblich, (nicht) heterosexuell, (nicht) be_hindert, (nicht) weiß seid, oder dass Ihr (nicht) aus einem akademischen und/oder wohlhabenden Elternhaus kommt. Und/oder einen Moment, wo Ihr Euch wegen Eurer Kleidung, Sprechweise, Körpererscheinung, Gewohnheiten unterschieden habt und dies eine Auswirkung hatte, über die Ihr Euch heute weiter bewusst seid. Wenn Ihr mögt, schreibt in Euer Lerntagebuch einige Stichworte dazu auf, macht eine Zeichnung, eine Audioaufnahme oder findet eine andere Form der Darstellung. Wenn Ihr in einer Gruppe arbeitet, so könnt Ihr Euch auch gegenseitig zu diesen Erinnerungen befragen und gemeinsam an Darstellungen arbeiten.

Übung

Übung Berufsbiografische Schlüsselmomente

Minimaler Zeitbedarf: 60 Minuten

Erinnert Euch an einen Moment bei Eurer Tätigkeit an der Schnittstelle Bildung/Kunst (z.B in Studium, Beruf oder als Teilnehmer_in), in dem es Euch bedeutsam erschien, dass Ihr z.B. (nicht) cis-männlich oder -weiblich, (nicht) heterosexuell, (nicht) be_hindert, (nicht) weiß seid, oder dass Ihr (nicht) aus einem akademischen und/oder wohlhabenden Elternhaus kommt. Und/oder einen Moment, wo Ihr Euch wegen Eurer Kleidung, Sprechweise, Körpererscheinung, Gewohnheiten unterschieden habt und dies eine Auswirkung hatte, über die Ihr Euch heute weiter bewusst seid.

Wenn Ihr alleine mit diesen Lehr-Lernmaterialien arbeitet, so sucht Euch eine Kolleg_in, um die erinnerte Situation zu erzählen. Diskutiert, was es in der Situation rückblickend für Handlungsalternativen und Lernmöglichkeiten gibt. Falls Ihr in einer Gruppe arbeitet, so könnt Ihr Euch die Erinnerungen gegenseitig erzählen, Lernmöglichkeiten und Handlungsalternativen diskutieren.

Beachtet:

Diese Übungen können insbesondere bei Menschen mit Diskriminierungserfahrung schlechte Erinnerungen und Gefühle auslösen. Bei der Gruppenarbeit ist es wichtig, dass jede Person selbst entscheidet, ob Ihre Erinnerungen mit anderen geteilt werden oder nicht. Die Entscheidung, etwas nicht zu erzählen, muss nicht begründet werden.

Eure Erinnerungen können sich auf Erfahrungen beziehen, wo Euch eine soziale Unterscheidung selbst widerfahren ist und Ihr sie als verletzend oder/und als stärkend erlebt habt. Oder es kann um Erfahrungen gehen, wo die Handlungsmacht, eine soziale Unterscheidung gegenüber anderen vorzunehmen, stärker bei Euch lag. Oder es kann all dies in der gleichen Situation der Fall gewesen sein.

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»Ja, man nennt diese Opfer für gewöhnlich Juden, aber viele meinen damit nur die anderen. Das ist irreführend, denn die, die da sterben mussten, waren nicht die anderen, sondern die Schulfreunde, die Kinder aus dem Hinterhof, die Nachbarn, die Omas und die Onkel, die biblischen Greise und ihre sowjetischen Enkel, die man am Tag des 29. September auf den Straßen von Kiew in diesem endlosen Zug ihres eigenen Begräbnisses die Bolschaja Shitomirskaja entlanggehen sah.« Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther, S. 185

Die Lernstation beginnt mit einem Zitat, das mich nachhaltig beschäftigt hat und eine Dimension von »doing difference« an den Anfang meiner Überlegungen stellt, die ich zentral finde: Indem die Menschen, die ermordet wurden, zu den anderen, den Juden, gemacht werden, werden sie zu einer »von einer deutschen Normalbiografie abgetrennte[n], andere[n], fremd gemachte[n] Gruppe. Privilegierte verlieren also durch die soziale Gruppenzuschreibung den persönlichen, direkten Bezug zu Diskriminierten, die primär Teil von als anders hergestellten Gruppen werden.« (Hornscheidt 2018:13)

Um den Produktionscharakter von »doing difference« nachvollziehen zu können, war für mich das Konzept der Performativität hilfreich (vgl. das Kapitel »Performativität« von Nora Landkammer im e-journal Art Education Research vom Juli 2011. Zur Performativität von Geschlecht s. auch das von mir verfasste Kapitel »Zweiflerei« (Dekonstruktion von Geschlecht) in denselben Materialien). Ein praktisches Beispiel zu Performativität von Geschlecht waren die »Man for a Day«-Workshops der inzwischen verstorbenen Performance-Künstlerin Diane Torr. Für den Kunstunterricht findet sich im Text Radical drag! – Varianten einer nicht-binären Kunstpädagogik von Nanna Lüth ein für mich überzeugendes Beispiel zum Umgang mit Performativität und Gender beschrieben. Im Gender Work Book von Kate Bornstein gibt es eine Sammlung von Übungen zur Bestärkung von »Zweiflerei« und zur Vertiefung ins Thema bietet Antke Engel in Wider die Eindeutigkeit »eine Strategie der ›VerUneindeutigung‹ von Geschlecht und Sexualität als Alternative zur feministischen Identitätspolitik« an. Nello Fragner beschreibt die Konsequenzen eines »Zweigeschlechtersystems« im gleichnamigen Beitrag zum »Glossar der Vielstimmigkeit« und Ins A Kromminga und Ulrike Köppel unterhalten sich in Girl-Monster or Boy-Monster? über künstlerisches Arbeiten als affektive Intervention in die Zwei-Geschlechter-Ordnung.

[Zu Performativität fand ich auch die Texte der Sportsoziologen Thomas Alkemeyer (Lernen und seine Körper) und Thomas Pille (Das Referendariat. Eine ethnografische Studie zu den Praktiken der Lehrerbildung) erhellend (trotz meiner Kritik an der Verwendung des generischen Maskulinums).]

Für die Schnittstelle Kunst und Bildung habe ich immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, wie solche komplexen Konzepte visuell übersetzt werden können, ohne dass sie vereinfacht werden. Ein gelungenes Beispiel für die Performativität von Geschlecht finde ich die Serie is this a boy or a girl? von queeristics. Mehrdeutig und rätselhaft sind die Zeichnungen von Ins A Kromminga (s. oben) und Bini Adamczak (z.B. die Zeichnung wir sind ihr – wir sind irr). In meiner eigenen künstlerischen Praxis habe ich mich dafür interessiert, inwiefern die Herstellung von Normen mit dem Eingeübtsein in normative Sichtweisen zusammenhängt (vgl. aus der Serie Spielen(d) Lernen die Illustrationen Othering und Heteronormativität). Eines der augenfälligsten Beispiele für dieses aktive Einüben sind Ausmalbücher – hier ein paar Beispiele aus meiner Sammlung zu nicht-(so-)normativen Ausmalbüchern: Eine meiner Lieblingsautorinnen ist Jacinta Bell – von ihr und anderen sind die Publikationen Girls will be Boys will be Girls, Girls are not Chicks coloring book, The Big Gay Alphabet Coloring Book, A More Graceful Shaboom oder Sometimes the Spoon runs away with another Spoon. Weitere Sammlungsstücke sind: The Badass Feminist Coloring Book von Ijeoma Oluo; das legendäre Cunt Coloring Book aus den 1980er Jahren von Tee Corinne und die zeitgenössische Version The Post-Structuralist Vulva Coloring Book von Elly Blue und Meggyn Pomerleau; The Adventures of Toni the Tampon von Cass Clemmer oder das Afro-Feminist Coloring Book Avie’s Dream von Makeda Lewis.

Mit den Zeichenstammtischen habe ich Menschen eingeladen, sich gemeinsam mit mir über die jeweiligen Bilder im Kopf und deren (nachhaltige) Wirkmacht auf unsere Vorstellung auszutauschen. Wie mit Bildern zu Begehren gearbeitet werden kann, beschreiben Anna Pritz, Rafaela Siegenthaler und Marion Thuswald in der Publikation Bilder befragen. Begehren erkunden und Karla Schmutzer und Marion Thuswald bieten im Band Mit Bildern zu Lust und Begehren arbeiten. Kunst- und sexualpädagogische Methoden und Materialien für Schule und Lehrer*innenbildung, aber auch in den im Herbst neu erscheinenden Veröffentlichungen Möglichkeitsräume sexueller Bildung ausloten. Sprachlosigkeit, Lust, Verletzbarkeit und Emanzipation als Herausforderungen pädagogischer Professionalisierung und Sexualität, Körperlichkeit und Intimität. Pädagogische Herausforderungen und professionelle Handlungsspielräume in der Schule, werden Transfermöglichkeiten in den Kontext Schule angeboten.

Die Aufforderung zum Blick zurück in die Vergangenheit wird bei vielen Angesprochenen auch in die eigene Kindheit führen. Eine Ebene, die ich für Adressat_innen, die sich mit Critical Diversity zu Vermittlung und Kunst/Kultur beschäftigen, produktiv finde, ist die Beschäftigung mit Kinderbüchern und Kinderliedern und wie diese zur Ausprägung normativer Sicht- und Hörweisen und damit zu »doing difference« bei uns selbst geführt haben (vgl. hierzu u.a. die intersektionalen, bzw. vorurteilsbewussten Kinderbuchlisten von i-päd und ISTA, den Beitrag von Raúl Krauthausen über Kinderbücher zum Thema »Behinderung« und das Festival für Vielfalt im Kinderbuch). Auch Teil eines »doing difference« und sehr stark zusammenhängend mit der jeweiligen Sozialisierung – die in der Pädagogik aktuell (wieder) heftig umkämpfte sex education (vgl. dazu den Text Let’s switch. Über sexuelle Bildung im Kunstunterricht von Angelika Beck und zur Vertiefung die Arbeiten der weiter oben genannten österreichischen Kolleg_innen Marion Thuswald, Rafaela Siegenthaler, Elisabeth Sattler und Karla Schmutzer im Rahmen des kunst- und sexualpädagogischen Projekts Imagining Desires und die gleichnamige Website mit Materialien und didaktischen Methoden; oder die vorausgegangene Publikation Teaching Desire). Prägend war für mich zum Thema »sexpositivity« die aktivistische Arbeit von Laura Méritt: »Als sexpositive Feministin beschäftige ich mich mit Sexualität als Spiegel sozioökonomischer patriarchaler und kapitalistischer Verhältnisse, die ich verändern möchte. Auf der individuellen Ebene vermittle ich, dass das Private politisch ist, ein wichtiger Spruch der Frauenbewegung. Wie sich Hemmungen, Ängste, Normen kulturell und historisch durch ideologische Diskriminierungen in Körper und Psyche festsetzen, vermittle ich auch in Workshops.« (Méritt 2020) Explizit an BIPoC richtet sich das Projekt Sexualpädagogische Empowerment für Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland von Generation ADEFRA, Schwarze Frauen in Deutschland e.V. und EOTO e.V. und intersektionale Sexualpädagogik bietet i-Päd.

An die Beobachtung, wie wir uns von klein auf in bestimmte normative Sichtweisen einüben, schließt für mich die Überlegung an, wie wir solche Mechanismen in unserer eigenen Vermittlungspraxis unterbrechen können. Ein Beispiel dafür, wie wir als Produzent_innen von Bildern kritisch mit Darstellungskonventionen umgehen können, ist der Comic Ich sehe was, was Du nicht siehst von Imke Schmidt und Ka Schmitz. Ein anderes Beispiel ist das von Simon Harder und Carmen Mörsch herausgegebene e-journal Art Education Research n°10: GUT AUSSEHEN – GESCHMACK UND SCHÖNHEIT IM KUNSTUNTERRICHT, welches sich mit der Frage beschäftigt, »wie Geschmacksnormen Kunstunterricht prägen und dabei normierend wirken« und wie gleichzeitig »Kunstunterricht zu einem Raum werden kann, in dem ebensolche Normen und Normierungsprozesse in den Blick genommen, bearbeitet und möglicherweise verschoben werden können.« Eine der darin beschriebenen Interventionen (vgl. Simon Harders Text In welche Blicke soll Schule investieren?) habe ich damals als Kollegin von Simon an der Schule miterlebt und fand sie sehr eindrücklich, indem sie allen Beteiligten einen Raum zur Selbstermächtigung geboten hat. Einx Kollegx, dx sich in their journalistischen und aktivistischen Praxis viel mit Lookism – Diskriminierung aufgrund des Aussehens – auseinandergesetzt, dazu einen Beitrag fürs »Glossar der Vielstimmigkeit« geschrieben und im Rahmen der KontextSchule dazu mit uns gearbeitet hat, ist Hengameh Yaghoobifarah. Im Talk Wer schön sein will, muss leiden unterhalten sich Hengameh und Tarik Tesfu über Aspekte von Lookism wie Bodyshaming (vgl. dazu auch den kurzen Beitrag von Hengameh für das JuP) und Yaghoobifarahs fa(t)shion blog queer vanity. Zur Vertiefung empfehle ich die Lektüre des Einführungsbandes zu Lookism von Darla Diamond, Petra Pflaster und Lea Schmid und die fkw Zeitschrift zum Schwerpunk Visual Fat Studies. Zum Thema Shaming-Strategien gibt es ein aufschlussreiches und ermächtigendes Kapitel für Mädchen (ohne Asterisk) im Buch Ene, Mene, Missy von Sonja Eismann.

Weitere Beispiele für künstlerisch-aktivistische Interventionen zum Thema Lookism u.a. Aspekten von »doing difference« sind die (Anti)-Lookism Zines von Medusa und das Crip Magazin von Eva Egermann (darin ihre wunderbare Arbeit Crip Geschichte begreifen zur Landkarte des Chicagoer Anarchisten und Arztes Ben Reitman aus dem Jahr 1910, welche »die Repression gegenüber verschiedenen devianten oder »anderen« Subjekten im frühen 20. Jahrhundert [illustriert ] und […] deren Widerstand gegen die dominante Ordnung erahnen lässt.« (s. 14 ff). Eva Egermann und Doris Arztmann haben im oben zitierten e-journal ebenfalls einen Text, der eine wichtige Referenz für meine eigene Praxis darstellt: Cyborg Exits im Klassenzimmer. Körper-Vielsprachigkeit und Crip-Materialien für schmutziges Wissen im Kunstunterricht.

Was ein »doing difference« für den Alltag von »GeAnderten« oder »Verbesonderten« (vgl. zu Schreibweisen die Beiträge von Nello Fragner, Swantje Köbsell, Katharina Debus/Vivian Lehmann und neXt generation ensemble) Menschen bedeuten kann, und welche emotionale Arbeit für sie damit verbunden ist, wird in der Animation How Microaggressions are like Mosquito Bites von Fusion Comedy und dem Text Wie Tausende kleine Mückenstiche von Azadê Peşmen, in den Poetry Slams Liebe Cis-Leute von Jayrôme C. Robinet bzw. Das Leben ist Geschmackssache von Fee Brembeck, aber auch in den beiden Speeches von Kübra Gümüşay und Viola Davis oder dem sarkastischen What Kind of Asian Are You? der US-amerikanischen Künstlerin Ken Tanaka deutlich.

Die Herstellung von Differenz dient zwar oft zur Sicherung von Privilegien, das Beharren auf Differenz ist jedoch manchmal auch notwendig, um zu verhindern, dass Ungleichheit verschleiert wird, wie die Zitate von Pat Parker und Astrid Albrecht-Heide deutlich machen. Für Empowerment-Prozesse kann das Herstellen von Differenz im Sinne einer Abgrenzung und damit zum Schaffen von geschützteren Räumen (vgl. zum Thema safe space, brave space auch den Glossar-Beitrag von Karen Michelsen Castañón und Katie Lee Dunbar) für von Diskriminierung Betroffene zentral sein (vgl. dazu u.a. Die Geschichte von Kreis und Viereck von Sharon Dodua Otoo). Eine weitere Umgangsweise mit der Produktion von Differenz ist das Deviante, also das Abweichen von der Norm, lustvoll zu betonen und zu feiern (vgl. dazu u.a. School of Shame von Polymora, GALA von Jérôme Bel u.a., den Musikclip Map of Tasmania von Amanda Palmer, die Lesung der Texte Schwerbehindert forever und Dreiundvierzig und kein bisschen größer von Rebecca Maskos im Rahmen der Veranstaltung Das organisierte Gebrechen liest. Aber auch den Text von José Esteban Muñoz The White To be Angry. Vaginal Cream Davis’s Terrorist Drag) oder die Deutungshoheit des »doing difference« für sich zu reklamieren. (vgl. das Statement von Del La Grace Volcano)

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch den Aspekt von Lust und Humor, der sich auf perfide Weise mit dem »Lachen über Andere« vermengt (vgl. dazu u.a. die Stand-up-Show Nanette der australischen Comedienne Hannah Gadsby oder das Seminar Komisch werden. Humor, Differenz, Kritik von Nanna Lüth.

Beispiele aus dem popkulturellen/medialen Spektrum, die »ge-Anderte« zu Wort kommen lassen und so gleichermaßen Identifikations- und Ver_Lernmöglichkeiten bieten, finden sich auf dem funk channel softie.

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